In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts strömten viele katholische Jünglinge aus den Kantonen Luzern, Freiburg und Wallis zu den päpstlichen Fahnen, um für Papst und Kirche zu kämpfen und zu sterben. Unter ihnen war auch ein elternloser Guggisberger. Früher hatte er als Hüttenbub auf Sassos (Saxo) Schwend gedient. Als die begeisterten Jünglinge sich für das päpstliche Heer anwerben liessen, packte auch den reformierten Guggisberger das Soldatenfieber. Weil aber die Rekruten vor ihrer Aufnahme unter die päpstlichen Fahnen das Vaterunser und Glaubensbekenntnis aufsagen mussten, lernte der Guggisberger eifrig diese Gebete von seinen katholischen Kameraden auswendig. So bestand er die Aufnahmeprüfung und zeichnete sich in mehreren Gefechten durch Tapferkeit und Mut ehrenvoll aus. Nach Beendigung des Feldzuges verliess der wackere Kämpe den päpstlichen Dienst und kehrte wieder zu seinem früheren Brotherrn zurück auf Sassos Schwend. Mit neuem Eifer verrichtete er seine Arbeit in Stall und Feld. Nachts schlief er stets auf einem Strohhaufen in der Ecke des Stalles. Da hatte er Gelegenheit, manches zu sehen und zu hören, was den übrigen Hausbewohnern entging. Jede Woche ereignete sich im Stall etwas Aussergewöhnliches. Eine unsichtbare Macht schien da ihr Unwesen zu treiben. Die Tiere wurden geschreckt, so dass sie wild an den Ketten zerrten und vor Angst laut aufbrüllten. Wenn dann der Stallknecht und die anderen Sennen herbeieilten, kamen sie gerade recht, um die mit den Halsketten ineinander verwickelten Kühe vor dem Ersticken zu bewahren. Leider gelang es ihnen niemals, den unbekannten Übeltäter zu ertappen oder zu fassen. So scharf sie auch aufpassten, eines Morgens fehlte die beste Kuh. Als man nach ihr suchte, fand man sie, in eine Felsenspalte verirrt. Nur durch das Bimmeln der Kuhglocken fand man des Tieres Aufenthaltsort. Es lag auf der Hand, dass hier finstere Mächte ihr schlimmes Spiel trieben. Diesen beizukommen, war keine leichte Sache. Die Hirten gaben dem Guggisberger den Auftrag, von seinem Nachtlager aufmerksam auf die Vorgänge im Stall zu achten.
In einer finstern Nacht gelang es dem Wächter auch, den Urheber der nächtlichen Bosheiten zu entdecken in der Person eines winzigen Koboldes, der einen langen, fuchsroten Bart trug. Den Kopf bedeckte eine grasgrüne Zipfelmütze. Wams und Hosen wiesen die gleiche Farbe auf. Als das grüne Männlein den Späher bemerkte, schrie es ihm mit krächzender Stimme zu: «Katholischer Ketzer, lass mich Wichtelchen in Ruh.» Der unerschrockene Guggisberger liess aber nicht nach, und es gelang ihm, mit kräftigen Zaubersprüchen den Kobold zu bannen, denn er konnte mehr als Brot essen. Nur er allein wusste darum, dass in der Alpenstube ein Zwergenpaar seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. In einer Nacht hatte er zuerst bitterliches Weinen vernommen, dann die rätselhaften Worte: «Sag dem Appeli, d Appele sei gestorben.» Das war des Zwerges Weibchen. Am andern Morgen berichtete der Stallknecht, was er in der Nacht gesehen und erlebt hatte. Doch daran tat er nicht gut. Die biederen Sennen verspürten vor dem Guggisberger ein geheimes Grauen. Sie rieten ihm, sich anderswo um einen neuen Dienstplatz umzusehen. Der Guggisberger spürte das Misstrauen und befolgte den erteilten Rat, denn es gefiel ihm jetzt auch nicht mehr bei seinen Kameraden. Er packte sein Bündelchen, und an einem frühen Morgen war er fortgezogen ohne Abschiedsgruss, und man sah ihn fürder nie mehr in jener Gegend.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.