Die bestraften Spötter (I)

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Der Zeiger der Weltuhr wies das Jahr 1346. In Freiburg, der Zähringerstadt am blauen Saanestrand, ging es recht lustig zu, denn ein Schützenfest wurde gefeiert, wozu sich alle Schützen von Stadt und Umgebung einfanden: adelige, stolze Herren und gemeines Kriegsvolk. Bis spät in die Nacht hinein dauerte der Trubel der festlichen Veranstaltungen. Drunten in der Unterstadt stand ein Wirtshaus in der Nähe des Bernertores. Drinnen in der qualmenden Wirtsstube war eine Menge Jungvolk bei Wein und Schnaps beisammen; halbwüchsige Burschen, denen kaum der Flaum unter den Lippen spross, freche Mädchen, die eigentlich schon daheim unter strenge elterliche Obhut gehört hätten; sie tanzten wilde Reigen und sangen rohe Gassenhauer. Je eifriger sie dem Alkohol zusprachen, um so lauter und ausgelassener wurde ihr Treiben. Vom St.-Nikolaus-Turm hatte die Betglocke schon eine Stunde geklungen. Aber im Vergnügen und Taumel des Genusses war ihre warnende Stimme nicht beachtet worden. Da, als sich der Lärm der Nachtbuben für einige Minuten gelegt hatte, tönte das silberne Klingeln eines Glöckleins mitten in die Schar der Zecher hinein; ein Priester trug den Herrn in Brotsgestalt zu einem Kranken, der eben in den letzten Zügen lag. Der Küster ging mit entblösstem Haupte voran; um den Leuten ein Zeichen zu geben, vom Tanze aufzuhören, gab er ein kräftiges Glockenzeichen. Aber die tollen Tanzpaare hörten nicht darauf; alsobald ging das Drehen und Wirbeln wieder an. Ein übermütiger Jüngling, der gerne das grosse Wort führte, verstieg sich sogar zum gotteslästerlichen Ausspruch: «Meines Vaters Schweine daheim haben auch solche Glöcklein anhängen». Diese Lästerung wurde von den Umstehenden mit frechem Lachen und lautem Beifall aufgenommen. In der Wirtsstube war nicht eine Zunge, welche den Spötter zurechtgewiesen hätte. Aber Gott lässt seines Eingebornen nicht spotten.

Während die liederliche Gesellschaft weiter tanzte, ballte sich über der Stadt ein schweres Unwetter zusammen. Vom Jura her zogen rotgelbe Wetterwolken herauf. Über der festmüden Stadt schütteten die Wolken ihre Wasserströme aus. Blitze flammten grell auf, der Donner krachte. In Gedankenschnelle schwoll die Saane an, und durch die Unterstadt ergossen sich die reissenden Fluten. Das Gewitter entlud sich so schnell, dass niemand in der Umgebung der Saane sich retten konnte. Alle Menschen, alles Vieh wurde von den gierigen Wellen mitgerissen und fand im schmutzig gelben Fluss einen traurigen Tod. Auch das Wirtshaus beim Bernertor wurde samt seinen übermütigen Insassen eine Beute der tobenden Saane. Kein einziger Teilnehmer der Tanzgesellschaft konnte sich retten. Von den Toten wurde keiner gefunden; nur einige wachsbleiche Kinderleichen liess der gefrässige Fluss zurück; diese lagen in ihren Wiegen, die am Geäste der Bäume hängen geblieben waren.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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