De Hl. Bischof Nikolaus hat seinen Namen dem Dorfe und der Gegend gegeben, wo er in einem schönen Gotteshause gegenwärtig verehrt wird; vorher mag der Ort "Gasen" (Chauson) geheissen haben. Es ist das der sicherste Beleg, dass die frommen Gläubigen aus der Umgegend häufig zu diesem Heiligen wallten, in seinem Gotteshause ihre Andacht machten und Votivtafeln aufhängten, deren noch einige vorhanden sind.
Der jetzigen Weltanschauung mag es seltsam scheinen, dem Hl. Nikolaus an einem ziemlich gefährlichen Orte eine Kirche aufzubauen. Diese steht unter einem zerklüfteten und sehr lockern Berghügel, "Dorftossen" genannt, und im Bereiche eines grossen und gefährlichen Lawinensturzes. — Dieser Zug, an gefährlichen und schauerlichen Stellen Bethäuser zu errichten, war bei den Alten vorherrschend; sei es, dass sich da des Menschen Gemüt besser vom Irdischen lostrennen und im Gebete leichter himmelwärts richten konnte, oder dass man da vom Himmel die Abwendung schwerer Unglücksfälle erflehen wollte. — Die Kirche in St. Niklaus wurde von der Lawine oft gefährdet und geschädigt, ja 1749 sogar bis auf den Turm und das Chor ganz fortgerissen. Das geschah gerade während der Sigrist am Morgen im Turm betenläutete. Er glaubte nur einen grossen Windstoss gehört zu haben und erstaunte darum nicht wenig, aus dem Glockenturme statt in die Kirche unter freien Himmel heraus zu kommen.
Einst fassten die Leute den Entschluss, dem Hl. Nikolaus die Kirche wieder aufzubauen im schönen und sichern "Felde" auf dem jenseitigen Vispenufer; aber jeden Morgen fanden sie die Bauinstrumente immer wieder unter dem gefährlichen "Sparrenzuge". Eines Abends erzählten auch zwei Hirtenknaben, sie hätten im Dorftossen zwei Kobolde — Berggeister — gesehen und gehört, wie sie miteinander den Anschlag machten, den Dorftossen herunterzuwerfen und den Talgrund zu verschütten. Die Kobolde entwarfen den Plan, der eine solle unten die Stützen des Berges losgraben und der andere oben den Berg hinausstossen. Beide machten sich gleich an die Arbeit. Aber es ging nicht und kein Hälmchen bückte sich. Der untere Kobold schalt erzürnt seinen Gehülfen oben einen Taugenichts. «O weh!» heulte dieser herab, «D's Glasi lat nit!» Weil der Hl. Nikolaus den Berg nicht herabstürzen lässt, bauten nun die Bewohner diesem Heiligen den Tempel freudig wieder an der alten Stelle.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch