Bauer und Landvogt

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Auf einem Schloss, man nannte es Gilgenberg, wohnte zu seiner Zeit ein Landvogt, der sich mit den Bauern recht gut verstand. Er ging einmal spazieren und traf auf dem Feld einen Bauern an, der am ackern war. Der Landvogt grüsste ihn: »Guten Tag, Nachbar, wie geht's?«

»Hin und her«, sagt der Bauer und sonst nichts. Er hatte es drauf angelegt, den Landvogt ein wenig in Harnisch zu bringen. Der Landvogt denkt: Diesen Bauern muss man offenbar an einem andern Ohr packen, wenn man ihn zum Reden bringen will. Und er nimmt sich vor, er wolle ihn das nächste Mal geschickter anreden.

Ein paar Tage später treffen sie wieder zusammen, und der Landvogt sagt: »Fleissig, fleissig, Nachbar? Ihr habt da wirklich zwei schöne Pferde!«

»Es waren eben auch zwei schöne Füllen!« meinte der Bauer und lässt sich keinen Augenblick bei seiner Arbeit stören. Warte nur, denkt der Landvogt, ich will dich lehren, wie man mit der gnädigen Obrigkeit spricht, du Flegel du! Er überlegt sich, wie er diesem Bauern eine Lektion erteilen könne. Beim Bauern aber war mehr Übermut im Spiel als Bosheit. Im Grunde genommen hatte er doch Respekt vor dem Landvogt, wie sich gleich zeigen wird. Beim Kleemähen findet er einmal einen schlafenden Hasen, kann ihn lebend fangen und denkt, den könnte er als schönes Geschenk ins Schloss bringen. Er zieht daheim den Sonntagsrock an, nimmt den Hasen in die Brusttasche und trabt in der besten Meinung den Schlossweg hinauf. Im Schlosshof unter den hohen Schattenbäumen ergeht sich der Landvogt und sieht einen schweren und starken Mann den Berg heraufkommen. Er fragt sich: Was will der wohl von mir? Bald sieht er, dass es jener grobe Bauer ist, und hetzt ihm die Schlosshunde an. Die stürzen sich wie Drachen den Berg hinab und auf den Mann los. In jener Zeit fürchtete man die Schlosshunde sehr, und der Mann wäre wohl recht erschrocken, wenn er zu erschrecken gewesen wäre. Aber er stand mitten auf dem Weg bockstill, knöpfte vorn nur seinen Rock auf und liess den Hasen zur Tasche hinausspringen. Nun setzten die Hunde nichts wie los dem Hasen nach und schauten den Bauern nicht mehr an. Der Landvogt sieht mit Verdruss, wie die ganze Meute in den Wald hineinschiesst, kommt von oben herabgetrippelt und fragt: »Eh! Wem springen die Hunde denn nach?« »Dem, der voranspringt!« sagt der Bauer und verzieht dabei nicht einmal sein Gesicht.

Nun platzte der Landvogt fast vor Ärger und spürte sich kaum mehr, aber er liess sich nichts anmerken und sagt zum Bauern: »Komm ins Schloss hinauf, du musst etwas zu trinken haben.«

Der Bauer hat diese Einladung nicht abgewiesen und im hinaufsteigen erzählt er ihm auch, was ihn hergeführt habe und was er habe bringen wollen. Doch der Landvogt war zu sehr erbost und hatte kein Mitleid mehr mit dem Bauern. Er winkt einem Knecht und trägt ihm auf, mit dem Gast da in den Keller zu gehen, ihn zu füllen bis er genug habe und ihn dann gottvergessen durchzuwalken.

Der Knecht tat, wie ihm befohlen war, und in den ersten Teil konnte sich der Bauer recht gut schicken. Als er bereits elf oder dreizehn Kännchen versorgt hatte und ihm der Wein allmählich die Pelzkappe lüftete, dämmert es ihm auf, die Mette könnte nun bald angehen. Er sieht auf den großen Fässern noch ein kleines liegen und sagt: »Da drin muss gewiss noch ein gutes Tröpflein sein, das wollen wir auch noch versuchen, ich habe sonst wohl aus jedem Fass ein wenig gehabt - und damit schlagt er den Hahn heraus. Der Wein kommt im Bogen herausgesprungen, und der Knecht kommt auch und schimpft: »Du Sürmel, was machst du nur!« Er stösst geschwind den Finger ins Loch. Der Bauer sucht den Hahn, findet ihn, und genau, wie es der Knecht befiehlt, steckt er ihn neben dem Finger hinein und pauf! mit dem Hammer drauf. Damit ist der Knecht ans Fässchen genagelt und schreit gar erbärmlich. Der Landvogt draussen hat schon lang auf diese Musik gewartet und wie jetzt endlich der Lärm im Keller losgeht, denkt er: Aha, der gerbt nun einmal diesen Kerl und ruft in den Keller hinunter: »Hau ihn recht ab!«

Der Bauer war als gehorsamer Diener schon an der Arbeit und haut von einem schönen Käse ein ganzes Viertel ab, nimmt diesen Käsebissen in die Brusttasche, wo vorher der Hase war, knöpft den Rock bis oben zu und wackelt mit übergeschlagenen Armen die Kellertreppe hinauf. Dazu schnitt er ein Gesicht wie Holzessig, machte saure Augen und liess den Kopf hängen wie ein armer Sünder. Oben empfängt ihn der Landvogt mit herzlicher Schadenfreude, lacht und sagt: »Nun, mein Bäuerlein, du hast eben deinen Teil erwischt für dein böses Maul!« »Gewiss habe ich das, Herr Landvogt«, antwortete das Bäuerlein, »ich und meine Frau, wir haben bestimmt ein Vierteljahr daran zu kauen!«

Otto Sutermeister: Kinder und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau 1837, nach B.Wyss; Schwyzerdütsch, Sitten und Sagen, 1863, S. 86. 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)