Bei Paglino, nicht weit von der Walliser Grenze entfernt, stehen auf italienischem Boden oberhalb der Simplonstrasse die Ruinen einer eingefallenen Kirche, welche einst die Pfarrkirche der Umgebung war, sowohl für die Italiener als für die Walliser. Beide Teile hatten zwar eigene Priester, aber nur eine gemeinsame Pfarrkirche. Der Pfarrer der Italiener wohnte in Trasquera, der Pfarrer der Walliser aber in Rüden. Um Missverständnissen vorzubeugen, hatten diese Pfarrer das Recht und die Verpflichtung, je eine Woche abwechselnd in der Pfarrkirche die Pfarrechte auszuüben.
An einem Sonntag, da die Reihe am italienischen Pfarrer war, den Gottesdienst am Morgen zu halten geschah es, dass er nicht eintraf. Voll Ungeduld wartete das Volk bis Mittag, und als der Pfarrer noch immer nicht ankommen wollte, gingen zwei Männer nach Ruden, um den deutschen Pfarrer zu rufen. Ungern, weil er den heftigen Charakter seines Mitbruders kannte, folgte dieser dem Rufe. Als er eben angekleidet zur Feier des heiligen Opfers an die Stufen des Altares hintrat, erschien der italienische Pfarrer, der sich auf der Jagd verspätet hatte. Als er seinen Mitbruder am Altare sah, nahm er sein Jagdgewehr von der Achsel, schlug an und erschoss seinen Kollegen, der sich in seine Pfarrrechte, wie er meinte, widerrechtlich eingemischt hatte.
Infolge dieses Mordes wurde die Pfarrei getrennt. Die Deutschen blieben in Ruden und wurden dem Bistum Sitten einverleibt, die Italiener in Trasquera und blieben unter dem Bistum Novara.
GONDO
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch