Im Beinhaus neben der Pfarrkirche in Naters, fand man ein sonderbares Schnitzwerk, das eine Person in Lebensgrösse an ein Kreuz genagelt vorstellte. Die Statue war mit drei oder vier verschiedenfarbigen alten Röcken bekleidet. Am Kopfe fielen grosse, schwarze Augenbrauen und ein kräftiger Schnurr- und Kinnbart auf. Das Gesicht war mit lebhaften Farben bemalt und stark lackiert, dass es den Anschein hatte, die Haut wäre nass von Schweiss und die grossen schwarzen Augen nass von Tränen.
Eine Legende erzählt, die heilige Kümmernus sei eine schöne Königstochter gewesen, die ihr königlicher Vater an einen Menschen, der ihr missfiel, verloben wollte. Sie hatte überhaupt keine Neigung zum Ehestand und wollte ihr Leben Gott widmen. Weil sie aber auf die eigene Kraft, allen Versuchungen zu widerstehen, zu wenig Vertrauen hatte, nahm sie ihre Zuflucht zu Gott. Und sie wurde erhört: Ihr Mund, ihre Nase und ihre Augen wurden gross und entformten sich entsetzlich; kohlschwarze Augenbrauen und ein gewaltiger Stutzbart vollendeten die Entstellung ihres einst so schönen Antlitzes. Als der Vater das Spiel merkte, liess er im Zorn seine Tochter an ein Kreuz nageln.
Man erzählt ferner, die Sankt Kümmernus habe einst von Naters davonlaufen wollen. Zum Glück begegnete sie auf ihrer Flucht zuoberst im Dorfe einem Manne, dem sie noch länger zu bleiben versprach, wenn man ihr alle sieben Jahre ein neues Kleid gäbe.
NATERS
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch