Vor undenklichen Zeiten wollte ein wilder Jäger im Gebiete des Märjelensees Kristalle sammeln. Er fand auch im Eggishorn eine ganze Menge und füllte sich die Taschen voll. Nachher zerstörte er aber in rauher Wut noch viele andere, so dass sein Weg gezeichnet war mit zerschlagenem Gestein. Gegen Abend kehrte er zum Märjelensee zurück. Dort hatte er Waffe und Provianttasche liegen lassen. Jetzt machte er sich mit gesundem Appetit an die Nahrung. Aber o weh! Sobald er das Brot berührte, war es Stein und das Fleisch ebenso. Mit einem derben Fluch liess er beides fallen und gleich war es wieder in seiner normalen Gestalt. Aus Wut warf der Jäger beides weit von sich und suchte in den Fiescherhörnern ein Nachtlager auf.
Am Morgen früh wollte er auf die Jagd. Bald auch fand er einen Bock und schoss ihn. Kaum war er mit Ausweiden beschäftigt, erblickte er ein Muttertier, das trauernd neben einem Zicklein mit gebrochenem Lauf stand. Wieder packte den Jäger die Zerstörungswut. Er schoss auch das Muttertier und tötete dann das Zicklein.
Inzwischen hatte sich der Himmel mit schwarzem Gewölk bedeckt, und ein beissender Sturm fegte über die Gegend. Mit seinem Gemsbock zog der Wilderer gegen den Märjelensee. Da wartete ein altes Männchen mit steingrauem Barte und winkte ihm, er solle einsteigen. Das kam ihm gerade recht. Aber das Männchen fuhr nicht ans andere Ufer, sondern geraden Wegs in den Gletscher hinein. Der Jäger wollte ihm das mitteilen, aber der Sturm toste so stark, und es regnete in Strömen, dass er nicht einmal seine eigene Stimme hörte, geschweige der andere.
Am Gletscher legte der Fährmann seine Ruder nieder, richtete sich auf, wuchs aus sich heraus und war plötzlich riesengross. Mit tieftrauriger Miene blickte er den Jäger an und sprach mit hallender Stimme, die den Sturm weit übertönte: «Was zerstörst du mein Reich? Was habe ich dir getan? Alles kannst du haben, was du benötigst, aber warum zerstörst du meine Felsen und tötest meine Kinder!» Der Gletscher öffnete sich, der Nachen sank unter. Berggeist und Jäger verschwanden, aber am folgenden Morgen tönten im Tale die Sturmglocken: «Der Märjelensee ist ausgebrochen!» Wiesen Felder, Äcker wurden überschwemmt und mit Schutt bedeckt.
Vom Jäger sah man seither nichts mehr. Nur bei stürmendem Wetter wollten Hirten am Märjelensee früher oft einen Mann vermerkt haben, mit alter Tracht, mit Waffe und Lederbeutel.
RIED-MÖREL
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch