Es war einmal ein Fischer, der ging Tag für Tag fischen. Eines Tages fischte er den ganzen Tag von morgens bis abends und fing nichts. Erst gegen Abend spürte er, wie etwas mit grosser Kraft an der Angel zog. Er zog und zog, und es kam ein grosser Fisch heraus. Mit aller Kraft hatte er ziehen müssen. Als er den Fisch an Land hatte, wollte er ihn töten. Aber als er eben zum Schlag ausholte, sagte ihm der Fisch, er solle einhalten, und fügte hinzu: «Jetzt wirst du mich töten. Und wenn du es getan hast, so nimm mein Herz und gib es deiner Frau. Dann wird sie zwei Söhne bekommen, die einander gleichen wie zwei Eier. Und die Lunge gibst du deinem Pferd, und das wird auch Zwillinge bekommen, zwei Füllen, eines genau wie das andere, und die Leber gibst du der Hündin, die wird Zwillinge werfen, die man nicht unterscheiden kann. Und nun kannst du mich töten.» Der Fischer tat, was der Fisch gesagt hatte. Er tötete den Fisch, gab das Herz der Frau, die Lunge dem Pferd und die Leber der Hündin. Nach neun Monaten gebar die Frau Zwillinge; die konnte keiner voneinander unterscheiden. Und nach ihrer Tragzeit bekamen die Stute und die Hündin ebenfalls Zwillinge, genau wie es der Fisch gesagt hatte. Die Buben wurden Jacob und Josep getauft. Sie wuchsen zu zwei schönen Burschen heran, aber sie glichen einander so sehr, dass niemand sie auseinanderhalten konnte. Mit den Pferden war es gleich, nur dass die nach einem gewissen Alter nicht mehr älter wurden, das heisst, immer in den schönsten Jahren blieben.
Als die Buben erwachsen waren, beschlossen sie, ein wenig in die Welt hinaus zu ziehen. Jeder erhielt vom Vater ein Schwert, und eines war für beide gemeinsam. Jeder nahm auch ein Zwillingspferd und einen Zwillingshund mit. In einem Wald kamen sie an eine Stelle, wo der Weg sich verzweigte. Sie beschlossen, sich hier zu trennen: Josep nahm den linken Weg und Jacob den rechten. Das gemeinsame Schwert legten sie in eine Baumspalte und versprachen einander, alljährlich vorbeizukommen und nach dem Schwert zu sehen. Wenn es rostig sei, befinde sich der andere Bruder irgendwo in Gefangenschaft.
Wir wollen uns zuerst einmal mit Josep auf den Weg machen. Der ging und kam zu einer Wirtschaft, und dort war ein junges Mädchen als Wirtin. Er führte das Pferd in den Stall, und den Hund nahm er mit sich ins Haus. Als das Mädchen sah, dass es ein schöner Bursche war, sagte sie: «Mach, dass du von hier wegkommst, dies ist ein Räuberhaus. Jede Nacht kommen 24 Räuber, und so viel ist sicher, du kommst mit dem Leben nicht davon.» Doch er sagte, er fürchte nichts, er wolle es mit denen schon aufnehmen. Er ging noch in den Stall und sah nach dem Pferd, dann begab er sich aufs Zimmer. Dort standen Tröge aller Arten sowie Tische und Truhen. Er verschloss die Türe und wachte. Allmählich erschienen zwölf Räuber, denn zwölf kamen vor Mitternacht und zwölf danach. Sie gingen in den Stall hinüber, sahen dort ein wunderschönes Pferd stehen und dachten: «Das muss ein Goldvogel sein, den wollen wir uns vornehmen.» Die Räuber gingen ins Haus. Sechs waren dafür, ihn vor dem Spätimbiss zu töten, sechs danach. Sechs stiegen dann hoch und stellten sich an die Tür, doch die war verschlossen. Sie wollten deswegen nicht lange fackeln und kamen auf den Gedanken, aus der Tür ein Loch herauszusägen. Aber das Loch war ein wenig eng geraten, so dass man sich hindurch zwängen musste. Der erste war kaum mit dem Kopf drin, als Josep, der hinter der Tür bereitstand, ihm den Kopf abhieb und ihn zum Loch hereinzog, dann schleppte der Hund ihn zuhinterst ins Zimmer. So kam einer nach dem andern dran, bis er alle zwölf erledigt hatte, und dasselbe geschah mit den zwölfen, die nach Mitternacht anrückten. So bezwang er alle 24, er und sein Hund. Dann ging er zum Mädchen hinunter und berichtete ihr, wie es zu und her gegangen war. Sie sagte, sie sei von den Räubern verschleppt worden und habe für diese die Wirtschaft führen müssen. Jetzt solle Josep sie heiraten. Der sagte ihr, das wolle er tun, aber zuerst wolle er noch ein wenig in die Welt hinausgehen. Vor der Abreise gab das Mädchen ihm einen Stab und sagte: «Wenn du damit auf einen Knochen schlägst, so wird daraus wieder das Tier, das es vorher war. Es wird wieder lebendig.»
Josep ging dann weiter und gelangte wieder zu einer Wirtschaft mitten im Wald. Er führte wieder das Pferd in den Stall und nahm den Hund mit sich ins Haus. In dieser Wirtschaft war ebenfalls ein Mädchen. Dieses sagte auch, er solle von da weggehen, denn das sei eine Räuberhöhle, er käme bestimmt ums Leben, wenn er da bleibe. Aber er sagte wie beim ersten Mal: «Es sei, wie es wolle, ich habe keine Angst.» Er setzte sich hinter den Tisch, nachdem er noch nach seinem Pferd geschaut hatte. Da sassen schon drei um den Tisch herum, die brummten etwas in den Bart. Josep liess dann die Wirtin eine Flasche Schnaps bringen, packte die Flasche und spritzte den dreien einen Strahl Schnaps in die Augen. Es begann sie zu beissen, sie schlossen die Augen und rieben sie, unterdessen zog Josep das Schwert und tötete alle drei. Die Wirtin war darüber natürlich sehr froh, denn auch sie war von den dreien verschleppt worden und musste für sie die Wirtschaft führen. Auch sie sagte zu Josep, er solle sie heiraten. Er versprach es auch dieser.
Er ging weiter und gelangte in eine Stadt. Dort waren alle Fenster mit Trauerflor verhüllt, und überall herrschte grosses Jammern und Weinen. Er ging in eine Wirtschaft und fragte den Wirt, was das bedeute. Der erklärte ihm, es gebe hier einen Drachen, und der verlange alle sieben Jahre ein Mädchen zum Frass. Man habe das Los gezogen, und es habe die Königstochter getroffen. Am nächsten Tag müsse man sie hinbringen. Josep fragte, ob er auch mitgehen dürfe, und der andere sagte ja.
Am Morgen kam die ganze Stadt zusammen. Zwei führten die Königstochter vor die Stadt hinaus, und die Leute folgten ihnen. In den ersten Reihen, in der Nähe der Königstochter, stand Josep. Auf einmal erscheint der siebenköpfige Drache. Josep stellt sich vor die Königstochter, und als der Drache vor ihm anlangt, schreit er: «Halt!» und versetzt dem gleichzeitig mit dem Schwert einen solchen Streich, dass drei Köpfe abfallen. Darauf sagt der Drache, er solle aufhören, doch inzwischen hat der wieder drei Köpfe bekommen. Josep versetzt ihm nochmals einen Streich, so dass vier Köpfe abfallen, dabei wendet er sein Schwert so schnell, dass er mit dem gleichen Hieb auch die andern drei abhaut. Damit ist der Drache erledigt.
Man kann verstehen, wie sehr sich alle in dieser Stadt freuten. Der König kam herbei, dankte Josep überschwänglich und versprach ihm seine Tochter. Dem Josep war dies recht, bloss sagte er, er wolle noch ein Jahr warten. Josep schnitt dann die Zungen aus den sieben Köpfen heraus und reiste weiter.
Unterdessen ging ein anderer, ein Diener des Königs, nahm die sieben Köpfe und behauptete nach einem Jahr, er habe den Drachen getötet, diese sieben Köpfe seien wohl Beweis genug. Aber die Königstochter sah schon, dass es nicht der Richtige war. Josep kehrte dann nach einem Jahr in die Stadt zurück, und diesmal sah es ganz anders aus als beim ersten Mal. Da war Freude, es gab Gesang, Fahnen und Blumen. Er ging wieder zum Wirt und fragte, was das bedeute. «Nun, die Königstochter hält morgen Hochzeit», sagte der Wirt. «Nun denn, das will ich glauben», meinte Josep. Was er ihm gebe, wenn er seinen Hund mit einem Korb im Maul hinauf ins Schloss schicke und der die Speisen hierher bringe, welche die Königstochter heute essen werde. Der Wirt antwortete, er wette nichts, aber er solle es trotzdem tun. Josep liess sich einen Korb geben, legte einen Brief hinein und gab ihn dem Hund mit den Worten, er solle ins Schloss hinauf zur Königstochter. Der Hund tat, wie befohlen. Dort beim Schloss stand eine Wache, aber der Hund kümmerte sich nicht darum, sprang mit ein paar Sätzen mittendurch und gelangte zur Königstochter. Die fand den Brief, las ihn und wusste gleich, dass der vom Richtigen kam. Überaus glücklich und froh rief sie den König, ihren Vater, und der war auch sehr glücklich und schickte den Hund mit den besten Speisen zur Wirtschaft mit der Einladung, Josep solle kommen. Dann rief der König auch den, der die sieben Köpfe hatte. Und auf die Frage des Königs sagte der, es sei doch klar, dass er der Richtige sei, denn er zeige die sieben Drachenköpfe. Und er legte alle sieben Köpfe aus. Unterdessen kam auch Josep, und der zeigte die sieben Zungen, und so war es jetzt klipp und klar, dass Josep den Drachen getötet hatte. Der andere musste das Schloss verlassen, und Josep hielt Hochzeit mit der Königstochter, eine grosse, schöne Hochzeit.
Am Abend gingen sie zu Bett, aber vor dem Zubettgehen schaute Josep aus dem Fenster und sah draussen im Wald ein grosses Haus. Er fragte, was das für ein Gebäude sei. Die Prinzessin, jetzt seine junge Frau, sagte, er solle deswegen nicht neugierig sein, denn wer dieses Gebäude betrete, komme nicht mehr heraus. Sie gingen dann zu Bett, und am Morgen, nachdem er sich gewaschen und gegessen hatte, sagte er zu seiner Frau, er gehe ein wenig spazieren, nahm sein Pferd und seinen Hund und ritt zu diesem Gebäude. Das Pferd und den Hund liess er vor dem Haus und trat ein. Da hörte er: «Ui, ui, ui!» Und es öffnete sich eine Tür, und eine Frau mit einem Halfter in der Hand rief: «Tritt ja nicht auf meine Küken!» und warf Josep das Halfter um den Hals. Augenblicklich war er in ein Pferd verwandelt, und sie stellte ihn in den Stall. Sein Pferd und den Hund liess sie neben dem Scheitstock im Boden versinken.
Jetzt wollen wir sehen, wo Jacob ist. Der kam gerade zu dieser Zeit dorthin, wo das Schwert in der Spalte lag und zog es heraus, da war es ganz rostig. Nun wusste er, dass seinem Bruder etwas fehlte und nahm den gleichen Weg, um ihn zu suchen. Zuerst gelangte er zur Wirtschaft, wo sein Bruder eingekehrt war und der Wirtin die Heirat versprochen hatte. Die hielt ihn für Josep, rannte ihm entgegen, umarmte ihn überglücklich und sagte, jetzt wolle man heriaten. Doch Jacob meinte, sie wollten noch ein wenig warten, er ginge lieber noch in die Welt hinaus, aber wenn er zurückkehre, wolle er heiraten Er ging weg und kam zur zweiten Wirtschaft, und dort geschah dasselbe wie in der ersten. Als er in der Nähe des Schlosses war, erblickte ihn Joseps Frau, die Königin- Sie rannte ihm entgegen, umarmte ihn voll Freude und sagte, sie habe seinetwegen unerhörte Ängste ausgestanden. Jacob tat natürlich nicht dergleichen, sagte nicht, dass er nicht Josep sei und ging mit ihr ins Schloss hinauf. Am Abend beim Zubettgehen schaute er auch aus dem Fenster, wie es sein Bruder getan hatte, und fragte ebenfalls, was das für ein Gebäude da draussen im Wald sei. Aber das wisse er doch, sie habe ja schon gesagt, er solle da nicht hingehen. Jetzt schöpfte Jacob einen Verdacht. Sie gingen dann ins Bett, und er legte das Schwert zwischen sich und die Prinzessin. Anderntags nach dem Morgenessen sagte er, er gehe ein wenig spazieren. Und sie bat, er solle ja aufpassen und dieses Gebäude nicht betreten. Er sagte: «Nein, nein», ging jedoch trotzdem hin. Als er im Wald war, hörte er auch jene Küken und sah jene Frau mit einem Halfter in der Hand herbeikommen. Und sie sagte wie zu Josep, er solle nicht auf die Küken treten und warf gleichzeitig das Halfter gegen ihn. Aber er packte es und warf es zurück, so dass es ihr über den Kopf fiel und sie in ein Pferd verwandelt wurde. Dann verprügelte er sie und sagte: «Wenn du mir gerade jetzt meinen Bruder herausgibst, so ist es gut und recht, andernfalls töte ich dich.» Er schlug sie mit der Peitsche und zwang sie, seinen Bruder und alles, was sie sonst noch hatte, herauszugeben.
Dann ritten die beiden Brüder zusammen der Stadt entgegen, und unterwegs sagte Jacob, er habe diese Nacht mit seiner Frau geschlafen. Da wurde Josep fuchsteufelswild, warf Jacob samt Pferd und Hund einen Felsen hinunter und kehrte heim.
Am Abend, als er mit der Frau ins Bett ging, sagte sie: «Diesen Abend hast du bessere Laune und legst nicht das Schwert zwischen uns.» Das fiel Josep auf. Am Morgen nahm er seinen Stab und ging zum Felsen, wo er Jacob hinuntergestürzt hatte, und er klopfte mit dem Stab auf den toten Bruder, auf das Pferd und den Hund, und alle wurden wieder lebendig. Auf dem Weg zum Schloss kam die Prinzessin ihnen entgegen und wusste nicht, welcher ihr Mann war. Josep ging dann zu ihr hin und erzählte alles, und hier endet die Geschichte von Jacob und Josep.
(Schams)
Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.