Zu Abraham und Abramessa sagte eines Tages die Mutter: «Nehmt eure Fässlein und geht in den Wald, um Heidelbeeren zu suchen, aber passt auf, dass ihr euch nicht verspätet!» Abraham und Abramessa zogen los und fanden auch schon bald ein gutes Plätzchen. Abramessa las in einem fort Heidelbeeren ab und hatte auch bald ihr Fässlein voll, während Abraham zwei oder drei in das Fässlein und drei oder vier ins Maul steckte, und so hatte er knapp ein halbes Fässlein beisammen, als seine Schwester das ihre schön voll hatte. «Warte, ich will dir helfen», sagte Abramessa und begann abzulesen, doch da gab Abraham ganz auf und stopfte eine Heidelbeere nach der andern in den Mund. Unterdessen war die Zeit um, und Abramessa sagte: «Jetzt, voll oder nicht, wir müssen aufbrechen, denn die Mutter schimpft mit uns, wenn wir zu spät kommen.» Doch Abraham wollte davon nichts wissen und gab zurück: «Ich gehe nicht nach Hause, bevor ich mein Fässlein voll habe.» So machte sich Abramessa ganz allein auf den Heimweg und begegnete einem Wolf. «Oh, lieber Wolf», sagte sie, «geh und beisse Abraham, damit er nach Hause kommt.» - «Nein, das mache ich nicht», sagte der Wolf, «denn Abraham ist mein guter Kamerad.»
Dann sah sie einen Hund und sagte: «Geh und beisse den Wolf, damit der Wolf Abraham beisst und Abraham nach Hause kommt.» Doch der Hund sagte: «Nein, ich beisse den Wolf nicht, denn Abraham ist mein guter Kamerad.» Sie ging noch ein Stück weiter und begegnete den Stöcken. «Geht», sagte sie, «und schlagt den Hund, damit der Hund den Wolf beisst und der Wolf den Abraham, damit Abraham nach Hause geht.» - «Nein», sagten die Stöcke, «wir machen das nicht, denn Abraham ist unser guter Kamerad.»
Jetzt sah sie das Feuer und bat es: «Oh, geh und verbrenne die Stöcke, denn die wollen den Hund nicht schlagen, und der Hund will den Wolf nicht beissen, und der Wolf will den Abraham nicht beissen, und Abraham will nicht nach Hause gehen.» - «Nein», sagte das Feuer, «ich mache das nicht, denn Abraham ist mein guter Kamerad.»
Da sah sie das Wasser und bat es: «Geh und lösch das Feuer, denn das will die Stöcke nicht verbrennen, und die Stöcke wollen den Hund nicht schlagen, und der Hund will den Wolf nicht beissen, und der Wolf will Abraham nicht beissen, und Abraham will nicht nach Hause gehen.» - «Nein», sagte das Wasser, «ich mache das nicht, denn Abraham ist mein guter Kamerad.»
Jetzt begegnete sie den Ochsen und sagte: «Oh, geht und trinkt das Wasser, denn das Wasser will das Feuer nicht löschen, und das Feuer will die Stöcke nicht verbrennen, und die Stöcke wollen den Hund nicht schlagen, und der Hund will den Wolf nicht beissen, und der Wolf will den Abraham nicht beissen, und Abraham will nicht nach Hause gehen.» - «Nein», sagten die Ochsen, «wir machen das nicht, denn Abraham ist unser guter Kamerad.»
Da sah sie die Stricke und sagte: «Oh, geht und bindet die Ochsen an, denn die Ochsen wollen das Wasser nicht trinken, und das Wasser will das Feuer nicht löschen, das Feuer will die Stöcke nicht verbrennen, und die Stöcke wollen den Hund nicht schlagen, und der Hund will den Wolf nicht beissen, und der Wolf will den Abraham nicht beissen, und Abraham will nicht nach Hause gehen.» Doch die Stricke sagten: «Nein, das machen wir nicht, denn Abraham ist unser guter Kamerad.»
Jetzt begegnete sie den Mäusen und bat sie: «Oh, ihr Lieben, rennt rasch, zernagt die Stricke, denn die Stricke wollen die Ochsen nicht anbinden, und die Ochsen wollen das Wasser nicht trinken, und das Wasser will das Feuer nicht löschen, und das Feuer will die Stöcke nicht verbrennen, und die Stöcke wollen den Hund nicht schlagen, und der Hund will den Wolf nicht beissen, und der Wolf will den Abraham nicht beissen, und Abraham will nicht nach Hause gehen.» Doch die Mäuse sagten: «Nein, das machen wir nicht, denn Abraham ist unser guter Kamerad.»
Jetzt kam die Katze, und Abramessa sagte: «Oh, geh rasch und friss die Mäuse, denn diese wollen die Stricke nicht zernagen, die Stricke wollen die Ochsen nicht anbinden, die Ochsen wollen das Wasser nicht trinken, das Wasser will das Feuer nicht löschen, das Feuer will die Stöcke nicht verbrennen, die Stöcke wollen den Hund nicht schlagen, der Hund will den Wolf nicht beissen, und der Wolf will den Abraham nicht beissen, und Abraham will nicht nach Hause gehen.» Die Katze sagte: «Ja, sofort, ich muss nur noch meinen Kleinen den Brei geben.»
Und sobald das getan war, rannte die Katze los, um die Mäuse zu fressen, und die Mäuse liefen, um die Stricke zu zernagen, die Stricke, um die Ochsen anzubinden, die Ochsen, um das Wasser zu trinken, das Wasser, um das Feuer zu löschen, das Feuer, um die Stöcke zu verbrennen, die Stöcke, um den Hund zu schlagen, der Hund, um den Wolf zu beissen, und der Wolf, um den Abraham zu beissen. Doch als der den Wolf kommen sah, begann er zu rennen und gelangte atemlos nach Hause. Die Mutter freute sich sehr, als sie ihn auftauchen sah und dass sie ihre Kinderchen wieder zu Hause hatte, obwohl Abraham nur ein halbes Fässlein Heidelbeeren brachte.
(Oberengadin)
Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.