Der schmale Felsengrat, auf welchem das Schloss Brunegg auf dem Kestenberge steht, ist auf etwa dreissig Fuss Tiefe und fünfzehn Fuss Breite durchhauen, so dass die Burg wie durch einen tiefen Wallgraben von ihrem Mutterberge abgeschnitten und isoliert hinausgesetzt erscheint auf den letzten luftigen Fels dieser Bergkante. Auf der Ostseite des Schlosses findet sich gleich unterhalb des Grundgemäuers eine Felsenspalte, welche das Teufelsloch heisst.
Hier soll ein Geist hinter einer roten Türe Schätze hüten.
Diese Spalte trägt keinerlei Spur von Behauung, sie verengt sich gegen innen bald, so das nur verwegen Jungen sie bekriechen können. Gleichwohl heisst es, sie gehe durch den ganzen Kestenberg unterirdisch fort und münde erst in dem Schlosse Wildegg, welches weitentfernt auf dem jenseitigen Bergzuge des Tales in ähnlicher Höhe gelegen ist. Versuchsweise liess einmal ein Bursche seinen Hahn in diese Kluft hinab, und nach drei Tagen kam er im Schlosse Wildegg in der dortigen Küche aus dem Boden herauf.
Es ging gerade gegen Mittag, die Köchin hatte eine Schüssel Brei übers Feuer gestellt und war weggegangen, um noch Milch herbeizuholen. Als sie wieder zurückkam, hatte der Hungrige alles rein ausgefressen. Aber sie konnte ihn fangen, und die Brunegger erkannten ihn wirklich als den ihrigen.
Im Tale zwischen diesen beiden Schlössern, auf dem Altfelde beim Dorfe Mörikon, hat ein Bauer unlängst einen Kessel voll viereckiger Münzen ausgepflügt; hier liegt eine alte Heidenstadt verschüttet, Namens Lenz.
Der ehemalige Schlosswächter auf Brunegg, von Geschlecht ein Hächler aus Lenzburg, der im vorigen Jahrzehnt gestorben ist, hat den wenigen Leuten, die ihn zuweilen in seiner entlegenen Wohnung besuchten, öfters vom Schlossfräulein erzählt.
So oft ich des Abends, sagte er, in meinem Pächterhause auf der Ofenbank sitze, erscheint an der Stubenwand gegenüber eine schön gestaltete Hand in der Bewegung, als wollte sie in aufgespannte Saiten greifen. Sogleich dann hört man die wundervollsten Lieder spielen. Dies ist die Hand des Schlossfräuleins, das hier einst aus unbekannten Gründen verschmachten musste. Wir haben den Ort ihres Todes entdeckt, als die Familie Hühnerwadel hier in den Besitz kam und ein paar Gemächer im Turme wieder bewohnbar machen liess. Damals pflegten nämlich Vögel in grosser Zahl in eine Mauerlücke des Erdgeschosses ab- und zu fliegen. Als man deshalb jene Mauerstelle, welcher bei der Steilheit des Felsens nicht ausserhalb beizukommen war, von innen aufbrechen liess, stiess man auf ein Gewölbe von der Grösse, dass eben ein Mensch darin Platz hat, ähnlich den Einmauerungszellen in Klöstern. Es fand sich jedoch ausser einer Menge Vogelnester nichts weiter darin.
Seminaristen I. Brugger und Joh. Fischer v. Mörikon. —Gottl. Häusler v. Lenzburg.
Quelle: E. L. Rochholz, Naturmythen. Neue Schweizer Sagen, Leipzig 1862.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch