Es war einmal ein vornehmer junger Mann der wollte ein armes Mädchen heiraten. Aber seine Eltern erlaubten ihm dies nicht und wehrten sich mit allen Mitteln dagegen. Der junge Mann verlobte sich mit dem Mädchen, gab ihr einen Goldtaler als Brautgeschenk und sagte, er hole sie an dem und dem Tag ab und führe sie in sein Haus, um die Hochzeit zu feiern. Aber seine Eltern plagten ihren Sohn derart, dass er vor Kummer starb. Doch die Braut wusste nicht, dass er tot war.
Am Abend des Verlobungstages ritt der Bräutigam in einen Mantel gehüllt vor das Haus der Braut. Er rief sie aus dem Haus und sagte, sie solle zu ihm aufs Pferd steigen. Er fragte die Braut, ob sie sich fürchte. «Ich fürchte mich nicht, wenn ich bei dir bin», antwortete sie. Dann hetzte der Bräutigam das Pferd auf den Friedhof seines Dorfes und sprang in ein offenes Grab. Er wollte das Pferd samt der Braut hinunterreissen. Doch die Braut redete mit dem Pferd und konnte es anhalten. Da läutete plötzlich die Morgenglocke, und der Bräutigam verschwand im Grab.
Das Mädchen nahm das Pferd, ging zum Haus des Bräutigams und weckte dessen Eltern. Die wunderten sich sehr, und als das Mädchen erzählte, der Bräutigam habe sie geholt und mit sich ins Grab ziehen wollen, erschraken sie furchtbar. Sie gingen mit dem Mädchen zum Friedhof und fanden das Grab ihres Sohnes offen. Nachdem sie es zugedeckt hatten, liessen sie das Mädchen zu sich kommen und sagten ihr, sie könne von nun an als vornehme Dame in ihrem Haus leben. Das Mädchen blieb dort, und sie trank Wein und ass Weissbrot.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch