Die drei Spinnerinnen

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Einmal schimpfte eine Mutter mit ihrer Tochter, weil sie nicht spinnen konnte. Ein Herr, der vorbeiging, hörte den Lärm und ging hinauf, um zu fragen, was es zu schimpfen gebe. «Oh, das Mädchen will das Moos aus den Wänden verspinnen«, antwortete die Mutter. Das gefiel dem Herrn, der viel zu spinnen hatte. Er stellte das Mädchen als Magd ein und gab der Mutter einen schönen Beutel Geld.

Die ersten Tage, als sie bei ihm war, brachte der Herr ihr eine grosse Menge Wolle und befahl, alles zu spinnen. Da sie dies nicht konnte, begann sie, als der Herr fort war, zu weinen, und flehte ihre Grossmutter um Hilfe an.

Im nächsten Augenblick kommt die Grossmutter, die schon lange gestorben ist, zur Tür herein. Es ist eine kleine Alte, die stark hinkt. Aber sie treibt das Rad an, dass es eine Freude ist, und in kurzer Zeit ist alles gesponnen.

Am andern Tag gibt ihr der Herr eine noch grössere Menge Wolle zum Spinnen. Diesmal ruft die Ärmste ihre Urgrossmutter zu Hilfe, und gleich kommt die Urgrossmutter, eine Alte mit einer fürchterlich grossen Nase, zur Tür herein und spinnt die Wolle im Hui.

Als der Herr merkt, was für eine hervorragende Spinnerin seine Magd ist, gibt er ihr das dritte Mal noch viel mehr Wolle zum Spinnen. Voll Angst und Sorge ruft das Mädchen diesmal ihre Ururgrossmutter zu Hilfe, und die hat sich nicht zweimal bitten lassen. Bevor das Mädchen die blinde Ururgrossmutter richtig sieht, hat diese alles fertig gesponnen.

Da der Herr sich über das flinke Spinnen freute, nahm er seine Magd zur Frau. Am Hochzeitstag, während des Mittagessens, erschienen plötzlich die drei toten Spinnerinnen: die Grossmutter, die Urgrossmutter und die Ururgrossmutter. Die erste sagte zum Bräutigam: «Schaut, mein Bein ist lahm geworden vom Rad antreiben!» Die Urgrossmutter sagte: «Vom Fadennetzen habe ich eine so grosse Nase bekommen!» - «Vom dauernden Auf-den-Faden-Schauen bin ich blind geworden», sagte zuletzt die Ururgrossmutter, «und deshalb darfst du die Braut nicht spinnen lassen, wenn du nicht willst, dass sie hässlich wird!» Von nun an liess der Herr seine Frau nie mehr spinnen, und sie dankte immer wieder ihren toten Grossmüttern.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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