Es war einmal zu Irgenhausen, in einem Weiler am Pfäffikonersee, ein Bauersmann. Der besaß ein kleines Heimwesen, das an den schweigsamen blauen See ging. So schön dieses Gütlein nun war, hatte er doch keine rechte Freude dran, da es ihn kaum zu ernähren vermochte.
Was ihn aber am meisten verdross, war eine eigentümliche, weitumgehende Mauerruine, die auf einem schönen Hügel unmittelbar am See lag, und von der die Leute sagten , sie sei in grauen Vorzeiten eine römische Burg gewesen. Jedesmal, wenn er das merkwürdige Gemäuer ansah, ärgerte er sich, dass dieser unnütze Steinhaufen, wie er sagte, grad den besten Platz in seinem bescheidenen Gute einnahm.
Aber eines Nachts, als er zufällig durch ein Fenster seines Holzhäuschens schaute, sah er auf dem nahen Hügel, auf dem das römische Kastell stehen musste, ein blaues Flämmchen flackern. Ein Weilchen schaute er dem Spiel des seltsamen Lichtleins zu, dann begab er sich zu Bett und vergaß das Flämmchen. Als er jedoch am andern Abend mit der Tanse auf dem Rücken heimzu trampte, glaubte er, in der Ruine am See das blaue Lichtlein wieder zu sehen. Doch ging er in seinen Weiler hinein und machte sich, nachdenklich geworden, auf den Laubsack zum Schlafen. Aber er konnte nicht schlafen. Immer wieder gaukelte das wunderliche Flämmchen in seine Träume hinein und weckte ihn. Endlich erhob er sich, trat ans Fenster und schaute forschend in die sternenklare Nacht hinaus.
Da lief es ihm kalt über den Rücken, denn nun sah er deutlich die Umrisse der römischen Burgmauern und das immer an der gleichen Stelle geisternde blaue Lichtlein. Und da er hatte sagen hören, dass da, wo sich dergleichen Lichterscheinungen zeigen, immer ein Schatz vergraben sei, zog er sich an, und darauf machte er sich in die Nacht hinaus.
Alles war totenstill, als er ins Freie trat. Aus tausend und abertausend Augen schaute ihn der nächtliche Himmel an. Aber er sah all die goldene Sternenherrlichkeit nicht; seine Augen suchten das schatzverheißende blaue Flämmchen. Und richtig, dort flimmerte es durch die Obstbäume.
Er sah sich um. Niemand war überwegs. Schier unhörbaren Schrittes ging er aus seinem Dörflein, übersprang einen Graben, und bald hatte er die zerfallene Mauer ob dem See hart vor sich. Immer zögernd schritt er vorwärts. Zuletzt blieb er immer wieder stehen, denn die Mauern, die ihm tags so vertraut waren, machten jetzt ein so fremdes, geheimnisvolles Gesicht. Es ward ihm gruselig zu Mut, und schon war er drauf und dran, schleunigst wieder davon und heim zu laufen, da zuckte das blaue Flämmchen über die Mauer empor und tanzte immer auf und ab, dann verschwand es wieder.
Jetzt riss ihn eine wilde Gier nach einem allfälligen verborgenen Schatze fort. Er überkletterte die niedrige Mauer, und kaum stand er im Kastell, sah er hart vor sich, alleweil auf der gleichen Stelle, das blaue Lichtlein stehen. Darunter im Gestein spielte sein Widerschein. Nun machte er sich keck aufs Licht zu. Als es aber auf- und abzusteigen begann, immer schneller und schneller, wie das Glaskügelchen im Springbrunnen, packte ihn die Furcht, und im Hui war er wieder über die Mauer und jagte ins Dörflein zurück.
Kaum befand er sich zu Hause, reute es ihn gewaltig, dass er sich so hatte verängstigen lassen. Erst wollte er wieder zurück, aber als er sich der Ruine zögernd zu nähern anfing, schlug es irgendwo die erste Stunde nach Mitternacht. Da versank das Lichtlein hinter dem Gemäuer und zeigte sich nicht mehr. Missmutig ging er heim.
Aber in der folgenden Nacht, als er das eigenfärbige Flämmchen zum dritten Male auf dem Hügel am See auf- und absteigen sah, schritt er entschlossen, einen Karst auf dem Rücken, aus dem schlafenden Weiler und seewärts.
Mutig überstieg er die Mauer, und siehe, da stieg das blaue Lichtlein wieder in einem fort, auf dem gleichen Fleck wie in der vorigen Nacht, auf und ab. Obwohl ihn einen Augenblick die Furcht wieder überkommen wollte, nahm er sich doch zusammen und stampfte darauf zu.
Kaum hatte er seinen Fuß auf die Stelle gesetzt, ob der das blaue Flämmchen zitternd stand, begann es ihn immer zu umkreisen. Er beachtete jedoch sein Spiel nicht weiter. Aus Leibeskräften hub er mit seinem Karst zu graben an, und bald hatte er ein ziemliches Loch vor sich. Aber nichts zeigte sich. Schon wollte er sich enttäuscht abwenden, da meinte er, im Loch etwas glitzern zu sehen. Er stocherte mit seiner Hacke nochmals drin herum. Jetzt flimmerte und funkelte es drin, dass es ihn fast blendete. Er zog den Karst heraus, und siehe, es hing daran etwas zappeliges, goldiges.
„Potztausend“, lärmte er auf, „eine goldene Kette!“
Kaum hatte er’s ausgerufen, so war zu seinen Füßen ein Schleifen und Rasseln, und nun sah er zu seinem Schrecken eine goldene Kette, wie eine Schlange, von ihm weg, wieder ins Loch hineinschlüpfen und verschwinden; nur das letzte dicke Kettenglied blieb am Zinken seines Karstes hängen.
Eine Weile war er wie gelähmt. Dann schoss er auf den hängengebliebenen glänzenden Ring der verschwundenen Kette los und versorgte ihn im Wams. Drauf hieb und grub er wieder im Loch herum, bis er vor Hitze rauchte, aber ganz umsonst, die verschwundene Goldkette wollte sich nimmer zeigen. Und als irgend ein Hahn den werdenden Tag ankündigte, ging er kleinlaut nach Hause.
Wohl schaute er noch lange Zeit nachts zu dem geheimnisträchtigen Gemäuer hinüber, aber das blaue Flämmchen ließ sich nie wieder sehen. Nun gefiel’s ihm nicht mehr in der Gegend. Er verkaufte sein Gütlein und auch das sorgsam gehütete Glied der verzauberten Kette. Das aber trug ihm zu seinem Erstaunen so viel ein, dass er sich davon in einer andern Gegend ein stattliches und ertragreiches Heimwesen erwerben konnte.
Wer aber an den freundlichen Pfäffikonersee kommt, kann jenes merkwürdige Gemäuer aus der grauen Heidenzeit heute noch sehen, und wenn’s grad Mai ist, weht ein lauer Seewind wohl einen Jauchzer und rotweißes Apfelblust drüber hin.
Meinrad Lienert, Zürcher Sagen. Der Jugend erzählt, Zürich 1918.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.