Der Geiger Lux (Lukas) hatte auf einer Hochzeit im Luzerner Dorfe Hitzkirch bis nach Mitternacht aufgespielt und machte sich nun zurück in sein Heimatsdorf Buttwil im aargauer Freienamte. Die Nacht war schwarz und der dichte Buchenwald am Lindenberge noch finsterer als sonst, über den ihn sein Heimweg führte. Mitten im Holze liegt der Geissenrain, ein Hügel, in welchem ein Zauberschloss sammt allen Schätzen versunken sein soll. Die paar Glas Hochzeits-Wein, die Lux zu viel getrunken hatte, machten ihn in seinen jetzigen Gedanken verwegener, und so sagte er an dieser Waldstelle: Wüsste ich nur da hinein zu kommen, ich wollte mir wohl die Taschen füllen. „Komm nur gleich mit!“ war darauf die Antwort eines Zwerges, der hier plötzlich vor ihm stand. „Gerade warten jetzt die Herschaften drinnen, und du musst aufspielen," fuhr der Zwerg fort, „aber merk dir's ja, dass du keine freche Forderung machst, wenn sie dich darnach ums Trinkgeld befragen!“
Der Lukas liess sich dies wohl gesagt sein und folgte sogleich seinem kleinen Führer nach. Er hatte in dem ihm wohlbekannten Walde noch nie so schauerliche Pfade gesehen; durchs dichteste Gestäude gieng's mitten hindurch, es bog sich wie bei einem Windstosse auf beiden Seiten aus einander. Zuletzt standen sie vor einem ganz erhellten Thor einer Bergwand. Es that sich vor ihnen auf, um sich rasch hinter ihnen wieder zu schliessen. Durch mehrere geschmückte und kerzenhelle Gemächer gelangten sie in einen weiten Saal, der so herrlich strahlte, als wäre er von einer Sonne erleuchtet. Herren und Frauen in alterthümlicher Tracht wandelten gesellig darinnen umher.
Auf einen Wink des Führers begann nun Lux zu spielen, die Versammlung ordnete sich zum Tanze und führte ihn in so zierlicher und anstandsvoller Weise durch, wie der Geiger seiner Lebtage nichts Gleiches gesehen hatte. Auch der Ton seines Instrumentes wurde immer herrlicher, eine ganze Unendlichkeit von Tänzen, einer schöner als der andere, fiel ihm ein, er war zuletzt von sich selber entzückt. Da stellte sich mit einemmale ein hoher Knochenmann vor ihn und fragte, was er als Lohn verlange. Wohlweislich gedachte der Geiger der vorhin erhaltenen Warnung; schweigend griff er daher nach seinem Hut und hielt ihn dem Frager still und ehrerbietig hin. Dieser füllte ihn bis an den Rand mit Kohlen, dann stand auch der Zwerg wieder da und führte sogleich den Geiger zu Saal und Berg hinaus.
Draussen war er ganz allein in der Finsterniss und hatte Mühe, seinen alten Fusssteig aufzufinden, ohne seine Geige an den Baumstämmen zu zerschlagen. Endlich erreicht er seine Hütte, und nun erst fühlt er, wie schwer ihm bisher die vermeintlichen Kohlen auf den Kopf gedrückt haben. Er leert sie draussen erbost ins Gras und sucht sein Bette. Spät am andern Tage hat er Ermüdung und Missvergnügen über die schlechte Bezahlung ausgeschlafen. Nun jagt ihn der Hunger aus dem Neste und er will nach Gewohnheit der nächsten Schenke zu. Wie er seinen Hut aufsetzen will, fällt daraus ein schönes Goldstück klingend auf den Boden, das sich im Hutfutter verschlupft hatte. Jetzt versteht er erst die Bescheerung. Gleich lauft er vors Haus, wo er gestern den Hut fluchend ausgeschüttet; hier liegt noch der ganze Haufen - Kohlen. Er geht in den Wald zurück, noch lange sucht er seinen gestrigen Fussweg; er findet auch diesen wieder, aber nie mehr das Thor und das Schloss.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 311
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch