Auf dem Ammertenberge sommerte einst ein Senne mit seinen beiden Knaben. Sie führten ein fröhliches Leben, schwelgten im Überfluss, jauchzten viel, assen und tranken nach Herzenslust; aber sie arbeiteten wenig.
Alle drei verübten tolle Stücklein, badeten die Füsse im Milchmelchterlein, bestrichen das Heu der Ziegen mit Senf und rollten täppische Schweinchen aus der Brotkrume.
Eines Abends stellte der Senn den Britschen-Kübel umgekehrt auf den Tisch, klopfte mit der Faust auf den Boden, so dass die weiße Masse rund auf die Tischplatte zu liegen kam. Statt aus der Britsche ein kräftiges Käslein herzustellen, befahl der Senn seinen Buben, ihm behülflich zu sein und den Teig in ein Männlein zu verwandeln. Diese klatschten in die Hände, setzten sich lachend hin und rollten auf der schmutzigen Tischplatte Arme und Beine, während der Vater Kopf und Rumpf des possierlichen Wesens formte. Hierauf fügten sie die arg verrenkten Glieder an den Leib. Bei einem nach innen gebogenen Beine war der lange Fuß nach aussen gerichtet, während das andere aus einer klotzigen Rolle gebildet war. Ein Arm wurde mitten in der Brust befestigt; der andere hing mager an der verkrüppelten Schulter. Zuletzt setzte der Vater den Kopf auf, seitlich geneigt, und die Augen des Geschöpfes glotzten wehmütig an die Decke.
Die Sterne fingen an, durch die Fenster zu blinken. Draussen dämmerte es. Die Knaben lockten die Kühe in den Stall, und bevor sie schlafen gingen, trugen sie das Britsche-Manndli unter tausend Scherzen und Witzen in die Küche.
Der Vater sagte ihm in lehrhaftem Tone ein Abendgebet vor, das er einst von der Mutter gelernt hatte. Als aber der Toggel still blieb, setzte er ihm eine lange Zunge in den Mund.
Wenn nun die drei an den folgenden Tagen beim Britschen-Männlein vorbeigingen,
strichen sie ihm einen tüchtigen Leck Nydle an die Nase, trieben Spott mit ihm, sangen ihm Liedlein vor und wollten es beten lehren.
Allein was mussten sie erleben!
Eines Tages lief der jüngste Bub zum Vater und erzählte ihm, das Britschen-Männlein lalle mit der Zunge unverständliche Worte. Sie eilten in die Küche, und da war es nicht mehr an demselben Orte! Es bewegte mühsam die Zunge und wiegte schwerfällig mit dem Kopf hin und her. Der Vater riss ihm Arme und Beine aus, warf die Stücke auf den Boden und ging seiner Arbeit nach.
Aber als sie am Abend heimkamen, waren die Teile alle wieder aneinandergefügt, und mitten in der Nacht tänzelte es heimlich in die Stube. Es klopfte an die Fensterscheiben und grinste zu dem besternten Himmel. Dann hüpfte es in die Küche und rumorte mit den Pfannen.
Das Haar des Sennen sträubte sich, und seine Buben duckten sich unter die Decke. Er schleuderte das Männlein zum Fenster hinaus, zerdrückte es in seiner kräftigen Faust. Aber es war nicht zu vertreiben. Es sprang zurück und klapperte immer lauter.
Von Angst getrieben eilte am folgenden Morgen der Senne ins Wallis zu einem Kapuziner, um ihm zu beichten und bei ihm Rat zu holen. Aber dieser machte ein ernstes Gesicht, bekreuzte sich und legte dem Sennen warm ans Herz, bei der Alpabfahrt ja nichts zu vergessen. Dann werde das Britschen-Männchen schon verschwinden.
Frohgelaunt schritt er wieder nach dem Ammertenberge, und gleich am andern Tage fand die Alpabfahrt statt.
Hastig packten sie die nötigen Gerätschaften ins Leilach; der Vater warf das Bündel auf den Rücken, schritt voran; die guten Tiere folgten willig seinen heimeligen Lockrufen, und die beiden Knaben liefen und hopsten hin und her mit Jauchzen und mit „Hoi! hoi!". Sie waren kaum eine halbe Stunde gegangen, da gewahrte der Vater, das Milchmelchterlein vergessen zu haben; er hiess seine Knaben weiterziehen und kehrte zur Alp zurück.
Laut muhte ihm die Leitkuh nach.
Der Zug bewegte sich langsam talwärts. Das weisse Leilachbündel blieb mitten auf der grünglänzenden Trift liegen.
Der Tag ging vorüber. Es dämmerte. Die Knaben warteten bis spät in die Nacht. Der Vater kam nicht.
Am folgenden Morgen eilten sie mit pochendem Herzen hinauf. Unterwegs riefen und schrien sie ihrem Vater. Keine Antwort. Das Bündel lag betaut im Gras.
Als sie zur Hütte kamen, hörten sie darin seltsames Gepolter und Geklapper. Sie rissen die Türe auf und stürmten hinein. Der Vater lag auf der Feuerplatte und rang mit den Armen. Das Britschen-Männchen hatte seine stechenden Finger in seinen Hals geklammert. Der Vater rollte entsetzlich die Augen, röchelte und torkelte zu Boden.
Die Knaben rannten ins Tal, und eine Achar bewaffneter Leute eilte hinauf.
Dann trugen sie die Leiche des Sennen still den Berg hinunter. Allein sonst fand man nichts in der Hütte.
Wer aber von nun an hier vorbei kam, der hörte in der Hütte das Britschen-Männchen rumoren, seine verrenkten Glieder unter Lärm und Geschrei wieder strecken und lachend die gelernten Gebete herlallen.
In Sommernächten sah man's an die Fensterscheiben töpperlen und scheu hinauf zum Himmel und den Sternen schauen.
Manch einer fasste sich ein Herz, trat in die Hütte, um den Kampf mit dem seltsamen Männchen aufzunehmen; aber wer einmal die Türe hinter sich geschlossen hatte, kam nie wieder heraus.
Quelle: Georg Küffer, Lenker Sagen. Frauenfeld 1916. Eingelesen von der Mutabor