Die Grenzscheide zwischen den Kantonen Bern, Waadt und Wallis bildet das Oldenhorn. Nordöstlich senkt sich talähnlich der Olden, der jeden Sommer drei Wochen lang beweidet wird. Auf ihm entspringt der Oldenbach, der sich dann mit der Saane vereinigt. Das kleinere Horn, der Oldenberg, soll ehedem von wilden Bergleuten bewohnt worden sein. Diese haben den Hirten das Vieh gehütet und zwar an den gefährlichsten Stellen. Zum Lohne hat man ihnen den Nidel mit geronnener Milch oder mit Ziger in Gefässen auf die Dächer gestellt, was sie dann, wenn niemand in der Nähe war, geholt und verzehrt haben. So sind diese Wilden lange des Viehes gute Hüter gewesen und niemals ist ein Tier beschädigt.
Einmal aber haben mutwillige Leute den Wilden in ihre Gefässe oder in eines derselben Kot geworfen, und von dieser Zeit an haben die Bergleute das Vieh nicht mehr gehütet, sich auch selten oder gar nicht mehr sehen lassen und nun ist den Leuten bald hier, bald dort Vieh verunglückt. Auch ist eine eigentliche Störung im Hirtenwesen eingetreten: das Vieh kam des Abends nicht mehr in guter Ordnung, oft blieben einige Stücke aus, und einmal wurden alle ihre Kühe in einem Zuge den westlichen Abhang im Oldentale hinunter gezogen, bis ausser den Olden in die steilen Abhänge des Homades, die in schwindelnder Höhe über dem sogenannten Bödemli und dem Bett des Oldenbaches sich befinden. Dort haben sie sich bis zum dritten Tage aufgehalten: zuweilen hat man sie gesehen, aber meist an solchen Stellen, dass kaum jemand zu ihnen hätte kommen können. Nach drei Tagen endlich sind sie wieder gekommen, matt und erschrecklich mager, beinahe ergustet (milchlos), und zwischen ihren Zehen haben sie Grangel (schlechtes Fleisch) gehabt. Das Vieh soll wiederholt einen solchen Zug gemacht haben.
Dies verursachte den Leuten Kummer und machte sie mutlos, und sie wünschten sehr, dass sie dieses Ungeschickes, das sie über den Verlust ihrer Hüter jetzt getroffen, doch los werden möchten. Sie wussten lange keinen Rat, zuletzt aber gingen sie zu Kapuzinern, sich Rats zu erholen und die empfahlen ihnen drei Stücke. Eines davon weiss ich nicht mehr genau; ich glaube, sie sollten den Kühen die Füsse waschen und dabei beten; dann sollten sie für jeden Sommer einen Sonntag bestimmen, an dem sie den Armen vom Nutzen ihrer Kühe Gutes erwiesen, und nie sollten sie an einem Bergfest-Sonntag spielen und tanzen lassen. Endlich sollten sie auch einen schwarzen Hahn auf dem Berge haben. Diese Vorschriften haben sie denn befolgt, und damit hat auch die Unordnung unter ihrem Vieh aufgehört. Seit jener Zeit ist es Sitte, dass man am Bergfeste (dem so genannten Saufsonntage) den Armen Nidel gibt.
Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.