In den Felsen und Klippen der Almende des Zugerdörfleins Walchwil haben ehemals die Bergmandli gewohnt, welche den Leuten bald Schutz- bald Plagegeister waren, je nachdem man sich ihr Wohlwollen oder ihren Hass zugezogen hatte.
Sie waren zwar äusserst klein von Gestalt, aber von besonderer Körperstärke, erkletterten blitzgeschwind die Bäume, verschwanden pfeilschnell in den Abgründen, waren in verschiedenen Handwerkskünsten wohlerfahren, konnten das Feuer besprechen, Krankheiten heilen und besassen Gold, Geld und Edelsteine, ohne dass sie selber etwas davon brauchten. Die Männer waren von Farbe schwarzbraun, die Weiber aber um so schöner. In ihren Ehen lebten sie gar zärtlich. Als das Weibchen, das in dem Tobel der Kalten Hölle wohnte, einem Geklüfte auf der Almende, ins Kindbett kommen sollte, holte ihr Mann die Hebamme ans Walchwil herbei und füllte dieser dann dafür die ganze Schürze voll Kohlen. Die etlichen, die sie davon mit heimbrachte, hatten sich Tags darauf in Edelsteine verwandelt.
Geizige Leute verfolgten sie aufs Bitterste, so zum Beispiel jenen Bauern, der ihnen bei der Metzelsuppe nicht einmal genug Schweinefleisch vorsetzte. Sie hatten ihm einen Kunstgriff beim Schweinesengen gezeigt, aber schon beim nächsten Schweineschlachten zündete sich der Bauer damit sein eignes Haus an. Dem Freigebigen dagegen brachten sie den Segen Gottes in allen Dingen, und man hielt schon einen solchen Mann für glücklich, dem sie im Sommer heuen halfen.
Sie verrichteten nämlich solcherlei nicht nur mit besonderem Geschick, sondern es kam damit Fülle und Gedeihen in Scheune und Stall.
Aber die Leute wurden in solchem Glücke endlich zu übermütig und kränkten die Bergmännlein, und seitdem diese fortgegangen sind, ist auch die goldene Zeit aus dem Dorfe gewichen.
Nun kommt es vielen zu ärgerlich vor, dass das Glück in der guten alten Zeit dagewesen sein soll und heute gar nicht wieder kommen will, wo man doch um so viel gescheiter ist. Sie leugnen darum die ganze Geschichte und behaupten diese Bergmännchen seien nichts anderes gewesen als braune Zigeuner, die ehemals bandenweise beim Zuger Landvolke sich umhertrieben als Kessler, Hufschmiede und Kleinmetzger und durch ihre Verschmitztheiten in den Ruf von Zauberern kamen.
Allein die Grosseltern jetzt lebender Greise erinnerten sich, die Erdmännchen selber gesehen und noch neben ihnen im Felde gearbeitet zu haben.
Das Heilbad im Dorfe Walterswil mit seiner kalten und seiner warmen Quelle gehörte damals noch den Zwergen, und daher rühren auch die Benennungen dortiger Wege und Plätze: Heidengass, Heidenstube, Herdmandliloch.
Am Eingänge dieser letztgenannten Höhle findet sich rechter Hand sogar eine Art Felseninschrift; es sind vier Linien wunderlicher Charaktere, welche man teils für eine noch unerklärte Anschrift, teils für ein blosses Naturspiel hält.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen, Bad 3.1, Leipzig 1962
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch