In dem Gebirgsstock, der sich zwischen der Lenzerheide und Arosa verzweigt, ist die höchste Spitze das rote Horn. Es ragt bemerklich über die andern verwitterten Zacken empor und bietet, wenn man es bestiegen hat, eine schöne Aussicht auf die dahinterliegenden höheren graubündnischen Schneegebirge und Eiszacken. Auch das rote Horn selbst schon beherbergt an seinem nördlichen Abhang einen kleinen Gletscher von einer Viertelstunde im Umfang. Schon der Name sagt, dass diese felsige Bergspitze rötlich gefärbt ist und lässt schließen, dass in ihrem Schosse Mineralien verborgen seien. So ist es auch. Am roten Horn waren Metallgruben, welche noch im siebzehnten Jahrhundert bearbeitet wurden.
Die Stadt Plurs im Veltlin, damals rhätischem Untertanenlande, welche im Jahr 1618 von einem Bergsturze verschüttet worden ist, betrieb diese Minen. Plurs war ein reiches Städtchen zwischen Cleven und der jetzigen Graubündnergrenze am Ausgange des Bergeller-Tales gelegen. Dass aber die Plurser so reich waren, ging nicht mit rechten Dingen zu; wie die Sage erzählt, stunden sie mit unterirdischen Mächten im Bunde und diese liessen ihnen in einer Mine am roten Horn täglich eine Kanne voll reinen Goldes fliessen. Daher rührte der Reichtum der Plurser, welche denselben überdies sehr übel anwandten und nur zu Schwelgerei, Luxus und Wollust benutzten. Aber die Stunde sollte sie erreichen. Im Jahr 1618 bedeckte ein Bergsturz Plurs mit allen seinen Schätzen und keine Maus entkam. Einzig ein Bündner Säumer wurde auf wunderbare Weise gerettet. Er kam mit seinen Saumrossen im Städtchen an und wollte dieselben einstellen. Aber das Vorross machte sich auf und davon und die andern Rosse ihm nach. Er eilte nach und brachte sie zurück. Zum zweiten Mal riss das Vorross aus und die andern Rosse folgten ihm. Er holte sie zum zweiten Mal ein und brachte sie wieder zurück. Aber das Vorross bahnte sich zum dritten Mal Wege und eilte in schiefem Schritt dem Bergell zu und die übrigen Rosse folgten ihm auf den Eisen nach. Da besann sich der Säumer eines Bessern und liess seine Rosse traben und zog mit
ihnen des nämlichen Weges. Am folgenden Morgen war Plurs nicht mehr. Von diesem Tage an war auch die Goldquelle am roten Horn versiegt und niemand hat sie mehr gefunden, obschon noch viel Gold im Berge ist. Auch war es seit jener Zeit nicht geheuer mehr um das rote Horn herum, wahrscheinlich, dass die Plurser-Verschütteten dort sich als Geister herumtrieben. So war namentlich eine Stelle in der Aroser Schafalp häufig von bösen Geistern und Hexen besucht und öfters werden dort zur Nachtzeit Hexentänze gehalten. Noch sieht man in einem Steine daselbst deutlich den Fusstritt eines Ziegenbockes und den Fussstapfen einer Hexe, die daselbst vom Ziegenbocke abgestiegen ist, auf dem sie zum Tanze geritten kam.
Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung www.maerchenstiftung.ch