Als die Schweden in alten Zeiten aus ihren kalten Ländern nach Deutschland kamen, um die deutschen Fürsten zu bekriegen, gelangten sie auch bis über die Schweizer Grenze am Oberrhein. Da hatten denn die Leute jener Gegenden grosse Furcht, es möchte ihnen ans Leben gehen, denn sie sahen aus manchem Dorf überm Rhein die Feuer aufgehen, die nachts den Himmel weithin röteten. Zu jener Zeit kam einmal ein armer Jude zum Ammann des baslerischen Dorfes Witterswyl [Witterswil]. An der Hand führte er ein hochbeiniges, prächtiges Ross, das beständig den stolzen Nacken bog und also feurige Augen machte, daß sie Funken gaben. Der alte Handelsmann trug dem Ammann das herrliche Reiterross an, und nach langem Feilschen ging das Pferd in den Besitz des Ammanns über. Nun lief das ganze Dorf zusammen, um das stolze Pferd zu bewundern, und viele Leute meinten, es sei gewiss des Schwedenherzogs Leibross, da er ja ganz nahe sei; man werde ihm's gestohlen haben.
Als nun der Witterswyler Ammann das stolze Pferd am andern Morgen aufs Feld zum Pflügen mitführte, musste er nur so staunen, wie er sah, daß das stolze Tier ihn und den Knecht samt dem Pfluge zog, und wie es im Hui das Feld umgeackert hatte. Es brauchte keinen Zuruf, und doch reihte sich Furche an Furche. Wie jedoch fast die ganze Zelge umgepflügt war, blieb das Pferd auf einmal stehen, spitzte die Ohren und lauschte ins Weite, als ob es etwas hörte.
Verwundert schauten es der Ammann und sein Knecht an. Aber es blieb steif und starr stehen wie ein steinernes Bildnis. Plötzlich schwellte es die Nüstern und schnaubte, und dann stieg es schäumend auf und raste mit dem Pflug über den Acker weg in einen nahen Hohlweg. Dort schlug es wie toll aus, befreite sich von Pflug und Strängen und jagte über Stock und Stein dem Dorfe zu. Der Ammann aber und sein Knecht, die sich von ihrem Schrecken erholt hatten, stürmten so rasch als möglich hinter dem flüchtigen Ross drein.
Das aber rannte in wildem Galopp mitten ins Dorf hinein. Und als es dort des Ammanns Söhnchen am Zaun der Strasse sitzen und spielen sah, packte es das Büblein mit dem Gebiss beim Wams und trug es in rasendem Laufe, wie es auch aufschrie, aus dem Dorfe, setzte über Graben und Hecken und verschwand im Busch. Jetzt erhob sich ein fürchterliches Angstgelärm im Dorf. Alles, was Füsse hatte, rannte mit dem daherschnaufenden Ammann und seinem Knechte dem Rosse nach, um das davongeschleifte Kind zu retten. Sie dachten alle, es werde sonst das Knäblein noch ins schwedische Lager verschleppen. Selbst ein paar alte Leute, die an Krücken gehen mussten, machten sich zum Dorf hinaus, so dass kein Mensch mehr in Witterswyl zurückblieb als der alte, übelzeitige Kirchensiegrist.
Nach langer und banger Jagd fanden der Ammann und die Witterswyler Leute zu ihrer grossen Freude den Knaben wohlbehalten an einer Halde in einer Waldlichtung, und bei ihm stand, ihn zärtlich beleckend, das hochgewachsene Schwedenross. Als es die Witterswyler kommen sah, fasste es den Knaben wieder am Wams und trug ihn den Heraneilenden entgegen, ihn dem Ammann, seinem Vater, sänftiglich zu Füssen legend. Dann trabte es, den Kopf lauschend im Winde, davon, und alles Volk lief ihm staunend nach, bis sie allmählich wieder dem Dorf zu rückten.
Wie sie endlich das Turmkreuz der Witterswyler Kirche in der Abendsonne glänzen sahen, erblickten sie zu ihrer Verwunderung den alten Siegrist, der, so hurtig er's an seinen Krücken vermochte, ihnen entgegenhülpte. Mit den Krücken in der Luft herumfuchtelnd, kam er auf sie los und rief: "Wisst ihr, wer heute in unserem Dorf gewesen ist?" Und als ihn alles fragend und verdutzt anschaute, sagte er: "Der Schwede ist im Dorf gewesen."
Da bekreuzten sich alle vor Schrecken. Und da erzählte der Siegrist, als ihn alles umringt hatte, das Folgende: "Es war eine Weile, nachdem ihr alle hinter dem Schwedenross her aus dem Dorfe gestürmt waret, da hörte ich auf einmal Trompeten blasen. Ich ging auf den Kirchturm, um Umschau zu halten. Kaum war ich oben, so sprengte ein gewaltiger Reitertross ins Dorf hinein. Auf dem Hauptplatze hielt er an. Eine Anzahl Reiter stiegen ab und fuhren in alle Gassen und Häuser hinein. Aber bald kehrten sie wieder zu ihrem Hauptmann zurück und berichteten ihm, das ganze Dorf sei leer, nicht eine Menschenseele stecke drin. Das schien dem Hauptmann nicht geheuer, er schien einen Hinterhalt zu fürchten, denn alsobald hiess er die Reiter wieder aufsitzen. Da empfahl ich meine Seele Gott und fing aus Leibeskräften die Glocken zu läuten an. Alle Augenblicke glaubte ich einen grimmigen Schweden die Turmstiege herauf auf mich losfahren zu sehen. Ich schwitzte, daß der Rauch von mir ging, aber ich läutete und läutete ohne Ende. Endlich konnte ich nicht mehr. Ich kroch todmüde an eine Fensterlücke und sah auf den Dorfplatz hinunter. Kein Bein war mehr zu sehen, die schwedischen Reiter mussten sich schleunigst fortgemacht haben."
Wie nun der Siegrist seinen Bericht beendet hatte, gingen allen vor Freude die Augen über. Sie wussten nun, daß sie das Schwedenross vor dem sichern Untergang bewahrt hatte. Sie nahmen den ruhig dastehenden Hengst an eine Halfter und bekränzten ihn mit grünen Laubzweigen. Also führten sie ihn feierlich ins Dorf hinein zu seinem Stall, und der Ammann schwor, daß er nun zeitlebens den besten Hafer zu fressen haben solle, da er Witterswyl gerettet habe.
Aber nach einiger Zeit reute es den Ammann, dass er sich verschworen hatte, das Schwedenross zeitlebens zu behalten, denn er dachte, es liesse sich mit dem Prachttier ein guter Handel machen. Eine Zeitlang überwand er sich noch, aber dann führte er das Ross eines Tages von der Haferkrippe weg aus dem Stall und machte sich damit über Feld, um es nach Basel an die Messe zu reiten, wobei das Pferd gar widerwillig tat.
Wie nun der Ammann mit dem Schwedenross ins Moor bei Benken kam, stieg es plötzlich und warf den fluchenden Reiter in den Sumpf. Und ehe sich der zu erheben vermochte, sprang hinter einem Busche der alte Jude hervor, der das Pferd vor kurzem dem Ammann verkauft hatte. Der lachte laut auf, schwang sich mit ungeahnter Behendigkeit auf des Rosses Rücken, und wie der Wind stob das herrliche Schwedenross mit seinem Reiter übers Moor und auf und davon auf Nimmerwiedersehen.
Der Ammann schaute ihm verdutzt nach. Und als er sich endlich aufgerafft hatte, suchte er das ganze Land ab, doch nie mehr fand er auch nur eine Spur von dem stolzen Hengst. Die Witterswyler aber sagten dann nachher: Am Morgen hätten sie ein stolzes junges Pferd auf vier flinken Beinen aus dem Dorf traben sehen, am Abend sei dann statt seiner nur ein alter Esel auf zwei Beinen dahin zurückgekehrt.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.