Im hintern Talgraben soll in alter Zeit eine feste Zwingherrenburg gestanden haben. Noch heute erkennt man den nach drei Seiten steil abfallenden Platz, von dem sie einst weit über das hügelreiche Emmental hinweg schaute.
Der letzte Bewohner der Burg war ein gefürchteter Zwingherr, der seine Untertanen mit Fronarbeiten und schweren Bussen hart bedrückte. Als er seines Lebens Ende nahen fühlte, bereiteten ihm seine unermesslichen Reichtümer an Gold und Silber und Edelgestein schwere Sorgen. Wer würde sie nach seinem Tode in Besitz nehmen? Sein einziger Sohn war auf dem Schlachtfeld geblieben, und seinen Verwandten mochte er sie nicht gönnen. Da beschloss der habsüchtige Zwingherr, Gold und Silber und Edelgestein an einem Ort, da sie niemand vermuten würde, zu verbergen.
Eines Nachts machte er sich an die Arbeit. Mit seiner letzten Kraft schleppte er seine Schätze heimlich an das Haus eines seiner Untertanen heran, den er zeitlebens geplagt und unterdrückt hatte, und versenkte sie im Weiher. Hier würde sie niemand vermuten noch suchen.
Kurze Zeit darauf starb der Zwingherr. Im Grabe aber fand er keine Ruhe. In der Gestalt eines garstigen alten Vogels mit triefenden Augen und zerschlissenem Federgewand muss er den bis auf den heutigen Tag verborgenen Schatz zur Strafe für seine Hartherzigkeit Nacht für Nacht hüten. Zwei noch nicht unterwiesenen Kindern soll es gelingen, den Reichtum zu heben, aber sie dürfen während der Arbeit keinen Laut von sich geben. Vor vielen, vielen Jahren — der Weiher war längst zugeschüttet und kein Mensch glaubte mehr ernstlich an die Hebung des Schatzes — sollen zwei Kinder nach dem verborgenen Reichtum gegraben haben. Die Arbeit ging ihnen leicht von der Hand. Schon tönte es hohl unter dem Werkzeug, und bald drangen sie zu einem grossen kupfernen Gefäss vor, in dem der Schatz verborgen lag. In diesem Augenblick flatterte der verzauberte Zwingherr in der Gestalt des garstigen Vogels heran. Erschreckt fuhren die Kinder zurück. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr ihnen, und die Öffnung wurde von unsichtbarer Hand mit Erde zugeschüttet.
Seither soll es niemand mehr gewagt haben, nach dem Schatz zu graben. Der böse Zwingherr aber muss ihn weiterhin hüten und kann seine Ruhe nicht finden.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.