Ganz falsch wäre es zu glauben, dass es nur in alten, längst vergangenen Zeiten Geister gegeben. Noch vor wenigen Jahren geschah es, da kehrte der junge, wackere Bergführer Franz Zgraggen, Dubeler genannt, von einer glücklich ausgeführten Bergfahrt von Disentis über den Brunnipass ins Maderanertal zurück. Schon von weitem sah er eine Person stehen bei der verlassenen Hütte der Brunnialp. Er dachte, es sei ein Bergsteiger, der da übernachten und dann morgens früh den Oberalpstock erklimmen oder den Brunnipass begehen wolle. Ein Älpler konnte es nicht sein, denn der wilde, hochgelegene Stafel war schon geräumt. Wie aber Zgraggen näher kam, bemerkte er, dass die Gestalt keinen Kopf hatte. Es wurde ihm etwas unheimlich zumute, denn es war sonnenklar, dass solches nicht mit rechten Dingen zuging. Eiligen Schrittes durchmisst er das einsame Tal, gewahrt aber mit Schrecken, dass die geisterhafte Gestalt, jetzt mit Kopf, ihm auf dem Fusse folgt. Es nützt nichts, die Schritte zu beschleunigen, der Verfolger tut es auch. Erst in der Nähe des Gasthauses auf dem Balmenegg wird er vom Schrecken erlöst. Dort machte er dem Kurgeistlichen, einem frommen Pater von Einsiedeln, Anzeige und bat ihn, sein Möglichstes zu tun, um den büssenden Geist zu erlösen. Nach einiger Zeit konnte der verständige Mönch den Bergführer versichern, dass ihn von nun an der seltsame Verfolger nicht mehr beunruhigen werde.
Von Gespenstern ohne Kopf wird überhaupt vieles gefabelt.
Franz Epp; Franz Zgraggen
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.