Pestsagen aus dem Schächental

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

 a) Zur Zeit, da in Uri der Beulentod herrschte, lebte in dem alten Steinhaus zu Trudelingen ein reiches Fräulein, das auch in Flüelen begütert war. In einer einzigen Nacht fielen so viele seiner Verwandten der schrecklichen Krankheit zum Opfer, dass es innerhalb derselben neun Schellenkühe, also neun Sennten, erben konnte.

b) Ein Landgut zu Spiringen wechselte infolge Erbschaft an einem einzigen Tage siebenmal seinen Besitzer.

c) Eine rote Kuh mit weissem Schwänzlein wurde in einer Nacht siebenmal geerbt.

d) Die Gemeinde Spiringen starb aus bis auf sieben Personen.

Hans Exer u.a.

e) In einer Kapelle zu Bürglen las man die Inschrift, oder eine Stimme wurde gehört:

Isch das nid ä grossi (ä bittri) Chlag,
Nynänynzg in einem Grab
(77 Jungfräuwä-n-in einem Grab).

Kath. Müller

f) Die Pestkranken wurden in besondern Zimmern abgesondert, und durch eine »Tohlä« reichte man ihnen aus der Küche oder aus dem Hausgang ihre Nahrung. Diese »Tohlen« findet man in vielen alten Häusern von ganz Uri.

g) Es kam einigemal so ein ganz kleines Nebelchen von der Altdorfer Seite her am Gruonberg entlang gegen die Bittleten ob Bürglen und strich sonnenhalb gegen das Schächental. Die Leute, die es für einen Vogel hielten, nannten es scherzweise »die Beule«. »Ähä, d'Bylä chunnt wider,« pflegten sie spöttisch zu sagen. Aber aus dem Nebelchen kam der Beulentod über Bürglen und das Schächental.

Jos. Maria Gisler, Bürglen, u.a.

h) Einst besuchte der Pfarrer von Bürglen ein altes Pürli zu Trudelingen, das die Zeit des Beulentodes erlebt hatte, und fragte es über den Beulentod aus. Da sagte es, nichts habe ihn's mehr hergenommen (weh getan), als wenn die Kühe mit vollen, grossen Eutern durch die Strassen hin- und herzogen und brüllten, und niemand da war, der sie melken konnte.

Schriftl. v.H. Kapl. K. Truttmann

i) Da war eine Verordnung, die Leichen zusammen zu nehmen. Einst hatten sie in der Bittleten die vermeintliche Leiche von einem alten Meitli geholt und stellten sie auf der Schächenbrücke ab, um andere Leichen zu holen. In Wirklichkeit war aber das Meitli noch nicht tot, und, als sie mit einer andern Leiche kamen, war es fortgekrochen, »versehnaagget«.1 In der Folge konnte es noch zehn Trychelkühe und viel anderes erben.

Schriftl. v.H. Kapl. K. Truttmann

k) Auch im Getschwyler im Schächental bekam ein Mädchen die Beule und wurde mit einigen Toten zusammen auf einen Schlitten geladen, um auf den Friedhof geführt und beerdigt zu werden. Auf dem Wege fiel es vom Schlitten und rollte einen Abhang hinunter, wo man es liegen liess. Es aber erhob sich, wanderte heim, erbte noch in der folgenden Nacht neun Trinkelkühe und wurde so das reichste Spiringer Meitli.

Karl Brücker

l) Einst schoss ein Teufelsdrache durch das Land, der hatte einen langen, glühenden Schwanz und spie Feuer. »Der bringt nichts gutes«, sagten sich die Leute, und richtig, es kam bald der Beulentod. – Teufelsdrachen und Golddrachen sind nicht die nämlichen.

Ambr. Gisler, Bürglen

m) In einem Bürgler oder Spiringer Berg starb eine ganze Familie bis an ein altes Meitli. Als die Männer die Leichen wegführten, sagten sie zu ihm: »Du musst auch mit, wegen dir allein kommen wir nicht mehr da hinauf.« Und sie luden es trotz alles Sperrens auf. Während sie aber eine fernere Leiche aus einem Hause holten, kroch es ihnen davon. Es blieb vom Tode verschont und erbte neun Trychelkühe und was dazu gehörte.

Fr. Gisler-Arnold

n) Eines Abends hörte der Senn von Niederalp, als er soeben zu beten gerufen hatte, die Stimme eines Geistes von der Gegend her, die das Hiänderle genannt wird: »Esset Enzen, Strenzen und Bibernell, so sterbet ihr nicht all!«

Franz Müller

Fußnoten
1 Bis da ganz ähnlich auch im Ried im Reusstal erzählt.

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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