Der Prior und sein Knecht

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Der Prior Blötzer in Lötschen, das war einer, von denen nicht dreizehn auf ein Dutzend gehen. Lang ist es her, seit er zum ewigen Licht einging. An den Abendsitzen und am Herdfeuer der Sennen plaudert man gern von ihm und stets mit einem Schimmer von Ehrfurcht. auch wenn es sich um Dinge handelt, an die heute niemand mehr glaubt. Er besass die seltene Gabe, böse Geister, welche die Menschen drangsalieren und irreführen und die sich die naiven Älpler als irdische Missgestalten ausmalten, zu vernichten, etwa auch in eine Wildnis zu bannen, in Schutt und Gletscherwüste, wo sie keinen Schaden mehr stifteten.

So weltklug, witzig, schlagfertig und eigenmächtig der Pfarrer, so hilflos und einfältig war Martin, sein Knecht, der ihn auf seinen Ausgängen zuweilen begleiten durfte.

Einst kamen sie selbander von einer Wanderung zurück. Auf dem Bauplatz in Kippel türmten die Steine sich haushoch, und der eine ging links, der andere rechts vorbei. Auf einmal war der Geistliche nirgends mehr, und als Martin zurückschaute, sah er ihn oben ins Dorf einbiegen. Wo er jetzt noch gewesen sei, fragte der Knecht ganz verblüfft. Zuoberst im Tal, lautete die Antwort, wo er einem Geist das Eiskämmerchen gerüstet habe.

Verflixt gern hätte der Knecht im Geisterbuch des Priors geschnüffelt und sich einige kräftige Sprüche hinter die Ohren geschrieben, allein, der Zutritt ins Zimmer war ihm untersagt, was ihn erst recht spannte und folterte. Als der Pfarrer abwesend war, öffnete er behutsam die Tür, trippelte auf den Fusspitzen zum Tisch, nahm das Zauberbuch auf den Schoss und schlug den ledernen Deckel auf. Schon die erste Seite war der Geheimnisse voll. Mit dem Finger glitt er den Schnörkeln und Zeichen nach und fing leise und dann immer lauter an zu buchstabieren und über den dunklen Sinn der Schrift gedankenlos wie eine Fliege zu hüpfen. Kolderi - Polderi - knabberte er an den schwierigen Wörtern - Bodenrutscher - Zapfenlutscher - Pappelstange - Riesenzange - Wolkenschlucker - er zog den Atem tief aus der Lunge und wischte den Schweiss. Uff - Gott steh mir bei! - das schwere Buch fiel zu Boden. Alle die Geister, die er mit Namen gerufen, sie waren da, neben ihm, hinter ihm, über ihm, bogen sich über die Rückenlehne des pfarrherrlichen Sessels, klammerten sich an die Tischplatte, knufften ihn an den Ellbogen - Buckelmännchen, nicht drei Käse hoch, mit verzerrten Larven und Igelhaaren, Riesen, die in Achselhöhe die Decke berührten und zwiefach auf ihn niedergrinsten. «Du hast uns gerufen, wir sind da, was ist dein Verlangen?» krakeelten die Unholde, und unser Martin, der keinen Fuss rühren und keinen Ton aus dem Hals quetschen konnte, schlotterte bachnass auf seinem Hocker.

Zum Glück war der Prior eben heimgekommen und vernahm im Garten bei seinen Bienenstöcken den Spektakel. Eilig schritt er ins Haus. Der Gang war eine Versammlung von spukhaften Gestalten, zwischen denen er sich mühsam hindurchpresste. In der Stube welche Verwirrung! Der Knecht wie ein ausgedroschenes Bündel Haferstroh fahl auf dem Sesselchen, von murrenden Geistern umzingelt. Stracks flüsterte der Pfarrer dem Knechtlein das erlösende Wort ins Ohr, und mit zitternder Stimme lallte Martin: «Hinaus, hinaus, drei Mass Gerstenkörner ins Haus!» Ein Husch, als ob nur einer da wäre, und die Stube war rein. «Jetzt aber geschwind!» rief der Pfarrer, und hob das Buch auf. «Bis zu welcher Zeile bist du gekommen?» «Bis hier, ich weiss nicht, bis hier, nein da.» Ehe er die Stelle gefunden, waren die Geister zurück und stellten drei Scheffel Gerstenkörner gestrichen voll auf den Tisch. «Gib uns Arbeit, sonst bei deiner armen Seele, wir zerreiben dich zu Staub und Mehl!» summte, brummte die Geisterbande. Der Knecht schüttelt sich wie ein Hund nach dem Bade: «Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, was soll ich?» - Gierig schnappt er die Worte seines Meisters auf und stackelt: «Schüttet die Körner in den Fluss, und bringt sie alle wieder her!» Schlauerweise hatte der Pfarrer, als er die Scheffel musterte, drei Kerne zurückbehalten und sie unter die Fingernägel geschoben. «Wo bist du im Buch steckengeblieben? Kratz dein Gedächtnis auf, ich muss es wissen!» «Ich will vorn anfangen, dann weiss ich, wo ich aufgehört habe.» «Das dauert zu lange, Strohkopf, sag mir das letzte Wort! » Der krumme Finger Martins pflügte den Zeilen entlang, und die Schnörkel verhaspelten sich zum unentwirrbaren Klüngel. Wind und weh ward ihm, und er starrte blöde zur Tür, als die Unholde schon wieder hereinhuschten und die tropfenden Eimer randvoll vor die Füsse schoben. «Sind es alle, Wolkenschlucker?» höhnte der Pfarrer. «Drei Scheffel schwer, sind keine mehr!» grochzte der Zyklop. «Schert euch, faule Käuze, es fehlen drei Körner!» Die Geister stoben davon. «Hier ist die Stelle!» rief Martin wie aus dem Fegefeuer erlöst. «Wolkenschlucker, das war das letzte», und er reichte dem Prior das Buch, der in aller Hast rückwärts las und die Geister in ihre Haft zurückbeschwor, aus der Martin sie gerufen hatte. «Ein Glück, dass dir das Wort einfiel, sonst wären wir beide verloren gewesen. Er brummte ihm eine gesalzene Strafe auf, indem Martin acht Tage lang den Wein nicht mehr holen durfte im Keller.

Zuweilen verliess der Pfarrer des Nachts die Pfründe, und der Knecht, der seine Wissbegierde nicht zügeln konnte, bat um die Erlaubnis, ihn zu begleiten. Sie stiegen zu den Glockenhäusern empor, und der Schalk gebot: «Du gehst links, ich rechts der Schutthalde, und bei den Aletschbäumen treffen wir zusammen!» Sohlenleicht rannte Martin die Strecke ab, kein Pfarrer war da. Er wartete eine Stunde, der Meister kam nicht. Missmutig stoffelte er nach Hause. Des andern Tags fragte er nach dem Verbleiben des Priors. «Du bist halt eine Schnecke. Als du mich suchtest, war ich schon zuhinterst im Lötschental, beim Kuhmattgatter.»

Am Montag wurde der Seelsorger nach Jeizenen gerufen, um einen Geist zu bannen, der an Sonn- und Festtagen Blöcke rollte, Dämme unterwühlte und Lawinen losbrach, auf deren Rücken die Stadel wie Schneckenhäuschen tanzten. Hinter dem Pfarrer stiefelte der Knecht, und die beiden querten der Kürze nach ein Kornfeld, in dem die ersten Ähren sich spitzten. An Ort und Stelle angekommen, rief der Geist: «Heute wirst du mir nicht Meister, Prior, ihr zwei seid Diebe!»

«Wieso Diebe, was haben wir gestohlene»

«Guckt auf die Schuhe Eures Knechtes, er hat Kornähren in den Schnallen! »

«In der Tat», gestand der Pfarrer, «das ist Diebstahl.» Er kehrte um und ging zu dem Besitzer des Ackers, der ihm den winzigen Betrag natürlich schenkte.

Am folgenden Tag stiegen sie wieder den Berg hinan. Martin zog den Schuh, der ihn drückte, aus, raufte ein Büschel Gras vom Ranft und polsterte die Sohle.

«Heute kommt ihr wieder umsonst», foppte der Geist, «ihr seid halt Diebe!»

«Schon wieder Diebe?» sagte der Prior massleidig; «wir sind doch nicht durch den Kornacker gegangen!»

«Schaut dem Knecht in die Schuhe! Heublumen hat er hineingestopft, die ihm nicht gehören!»

Der Prior wendete sich abwärts und bot dem Besitzer Schadenersatz.

Tags darauf legten sie die Strecke zum drittenmal zurück, immer schön in der Mitte des Weges. Da sagte der Geist: «Gestern und vorgestern hast du den Schaden wettgemacht und heute nichts gestohlen, jetzt muss ich dir gehorchen. Leb wohl, du schönes Jeizenen, ich ziehe in die Verbannung.»

Eine Woche später wurde der Pfarrer zum Gletscher gerufen, und Martin durfte ihn begleiten. «Sollte der Geist dich ebenfalls ansprechen, was man nie wissen kann, pass auf, was ich sage, und antworte genau wie ich!»

«Das werde ich tun», gelobte der Knecht und holte geschwind den Wedel und das Kräuterfass.

Am Gletscher angekommen, meldete sich der Unhold: «Was bist du für ein Heiliger? Offenbare mir deinen Namen!»

«Ein Heiliger bin ich nicht», erwiderte der Pfarrer, «hoffe aber, mit der Gnade Gottes einmal einer zu werden.»

«Und du, milchbärtiges Knechtlein, was bist du für ein Esel?» Wie der Meister, schloss Martin die Füsse und die Hände und stotterte: «Ein Esel bin ich nicht, hoffe aber, mit der Gnade Gottes einmal einer zu werden.»

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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