Von der zürcherischen Landesgrenze im Oberholz
Es ist recht merkwürdig, daß die Grenzmarkierungen an der zürcherisch-sanktgallischen Grenze nicht immer die gleichen waren, und dass in früheren Zeiten oft darum gestritten wurde. Dass eine Grenzänderung auch einmal durch höhere Gewalt herbeigeführt werden konnte, beweist die nachfolgende Geschichte.
Vor altem gehörte das Niederholz bei Wald zum Weiler Oberholz. Und das Oberholz gehörte mit Steuer und Brauch nach Goldingen, mit Braut und Bahr aber nach Eschenbach. Damals hiessen noch alle Einwohner Oberholzer und stammten alle von einem Stammvater ab.
Da geschah es in einer Pestzeit, dass im Oberholz alle Leute ausstarben, bis auf einen Mann. Und weil nun niemand mehr da war, der zur Messe in der Kapelle das Glöcklein läutete, musste es dieser letzte tun. Aber auch aus dem Niederholz kamen immer weniger Leute, und nach ein paar Tagen kam nur noch einer, der auch Oberholzer hiess. Da beratschlagten die beiden Oberholzer, welche die letzten Überlebenden waren, ob sie ihre Heimat verlassen, oder ob sie in ihren verödeten Weilern bleiben sollten. Schliesslich wurden sie rätig, zu Hause zu bleiben. Aber weil im Oberholz kein Gottesdienst mehr gehalten werden konnte, beschlossen sie, dass jeder zur Mittagszeit auf eine Anhöhe steigen solle, und woher er läuten höre, dort solle er Kirchgenosse werden.
Der Oberholzer von Oberholz stieg gegen die Mittagszeit in die Stöck hinauf und hörte dort die Glocken von Eschenbach. Daher blieb er dort kirchgenössig. Der Oberholzer von Niederholz jedoch hörte das Geläute von Wald. Seither ging er dort zur Kirche. Wald war aber damals schon reformiert. Drum wurde das Niederholz vom Oberholz abgetrennt. Seither ist das Niederholz zürcherisch und reformiert.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
VB. 30. 10. 1916; Gchr. Wald 1902; A. Bauhofer, Berge, Wälder, Grenzen und Siedelungen im Zürcher Oberland, Wetzikon 1950. - Steuer und Brauch waren politische Abgaben, Braut und Bahr = Hochzeit und Begräbnis.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.