Ein Mann, Namens Heding, ging an einem Thomas-Markttage, Morgens als es noch dunkel war, mit etlichen andern Reisegefährten den Forst (Gegend zwischen der sog. Clus und Marschlins) hinaus, Cur zu. Und als er im Gehen etliche Schritte hinter den Andern war, siehe da entführte ein Geist ihn durch die Luft hin, mit solcher Geschwindigkeit, dass seine Kameraden gar nichts davon gewahr wurden. Nachdem er aber nicht nachkam, glaubten sie, es sei ihm Etwas begegnet, kehrten um, ihn zu suchen, fanden ihn aber nirgends.
Der Geist setzte auf einen Felsenvorsprung oberhalb dem Schlosse Aspermont, über der Molinära ihn nieder, in den Schnee, und liess allda ihn sitzen, also, dass der arme Mensch weder hinter sich, noch für sich sich bewegen konnte. So war er nolens volens schon zwei Tage auf diesem Felsvorsprunge, und fror und hungerte gar sehr. - Niemand vernahm etwas von seinen immerwährenden Rufen nach Hülfe.
Am dritten Tage ging zufällig ein Geisshirt beim Schlosse vorbei und hörte hoch oben herab das Geschrei eines Menschen. Er jauchzte, worauf das »Jesmen« (Lamentieren) noch kläglicher wurde.
Nun glaubte der Hirte, es sei Jemand von der Valzeiner-Seite herübergekommen und im Tobel verunglückt, und liege hülflos im Felsgeklüfte. Deshalb lief er schnell nach Zizers, sagte es den Leuten, worauf Etliche mit dem Doktoren hineilten und nachsuchten. Sie fanden ihn auf einer sehr steilen Felskuppe, mussten mit langen Stricken von oben herab ihn heraufziehen, und brachten mit grosser Mühe und Gefahr den armen Mann in Sicherheit.
Er hatte aber im Schnee beide Beine erfröret, die dann der Medicus ihm abnehmen musste.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.