Die Frau Pfarrer B .. , in N ... erzählte einst:
»Als ich meine erste Tochter zu erwarten hatte, glaubte ich in der letzten Zeit täglich in der Abenddämmerung die Gestalt eines alten geistlichen Herrn in der Stube herumgehen zu sehen, auf welche ich, auch mit dem grössten Widerwillen, immer hinschauen musste.«
Ich klagte das meinem Mann, der aber vermochte diese Gestalt nicht zu sehen. Aber aus meiner Beschreibung, wie die Gestalt aussehe, sagte er mir, das sei sein Vater, der vor nicht langer Zeit gestorben war, den ich jedoch nicht mehr gekannt habe. Das Mädchen, meine liebe Luise, die bald nachdem auf die Welt kam, war ganz das Ebenbild des Grossvaters, wie mein Mann und viele Andere behaupten.
Mein lieber Mann starb zu Weihnachten 1841 und nach seinem Tode blieb ich noch einige Zeit bei Verwandten in Cur. Im Winter wurde meine jüngere Tochter Anna krank, und ich war, wie gewohnt, am warmen Ofen, und hielt sie im Arme. Da kam es mir plötzlich vor, als ob die Gestalt meines sel. Mannes mir sich nähere, und besonders deutlich verspürte ich seinen Geruch. Um zu erforschen, ob dies nur Einbildung sei, fragte ich meine Kleine: »Anneli, riechst du nichts«? worauf Dieselbe antwortete: »Ich verspüre des sel. Papa\'s Geruch.« Als ich dann an den Tisch mich setzte, war es, als setze auch mein seI. Mann links sich neben mich. Denn auf dieser Seite spürte ich deutlich wieder seinen Geruch; auf der andern Seite aber roch ich gar nichts. - Dies währte einige Minuten und verlor sich dann. Einige Abende später, als ich die kranke Anna ins Bettlein legen wollte, kam es mir vor, als trete der Verstorbene vor mich her, und als drücke er den Fingerspitzen mir auf die Achsel, so dass ich lange nachher den Druck zu fühlen glaubte.
Von da an hörten die Annäherungen des Seligen auf.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.