Hart an der Strasse stehen bei Remüs die Ruinen eines alten Gebäudes, genannt das Schloss des heil. Florin. Diesem gegenüber, links am Wege, findet sich eine Quelle, die Quelle des heil. Florin, deren Wasser einst in Wein sich verwandelt haben soll. Vor Zeiten lebte nämlich zu Remüs der heil. Florin, ein gar frommer Mann, zu welchem die Gläubigen aus weiter Ferne pilgerten, um Rat und Trost sich zu erholen. Der Wunder soll er viele verrichtet haben. Sogar seine Reliquien waren wundertätig, und deswegen blieb Remüs bis zur Zeit der Reformation ein berühmter Wallfahrtsort.
Einst hatte der fromme Mann Schnitter auf seinem Acker in Serra plana bei Remüs, und schickte ihnen den Imbiss und einen guten Trunk Wein Zur Labung. Der Diener kam bis zur Nähe oben genannter Quelle, und fand dort einen armen Wanderer matt am Boden liegen. Er trat zum Armen hin und reichte ihm den für die Schnitter bestimmten Wein. Nach und nach erholte der Arme sich, aber dagegen war auch der Weinkrug leer geworden. -
Im Bewusstsein, ein gutes Werk getan, Samariter-Pflicht erfüllt zu haben, bangte ihm nicht vor der unvermeidlichen und voraussichtlichen missbeliebigen Begrüssung von Seiten der Schnitter. Getrost füllte er den leeren Krug mit Wasser aus der klaren, frischen Quelle, und wollte seinen Weg fortsetzen. Der arme Wanderer reichte ihm noch die Hand, zum Danke für die genossene Wohltat, und sprach: » Wer du bist, das weiss ich nicht, aber das weiss ich, dass ich durch deine Labung gestärkt und vom Tode gerettet bin, empfange meinen Dank: möge die Kraft des hl. Florin, zu dem ich jetzt wandern will, dein nun frisch geschöpftes Wasser in Wein verwandeln.« - So schieden sie von einander, Jener neues Leben, Dieser ein befriedigtes Herz in sich fühlend.
Als der Diener bei den Schnittern ankam, erzählte er Denselben, was ihm begegnet, und entschuldigte sich, dass er heute Wasser statt Wein zur Erfrischung bringen müsse. Wie gross war aber das Erstaunen der Arbeiter, als der erste Becher gefüllt wurde, und aus dem Kruge statt Wasser - vom besten Wein hervorquoll. »O wie gross,« riefen Alle, »ist die Wunderkraft des heil. Florin!« Seit diesem Ereignisse weiss Jedermann:
»La fantana da St. Florin
Inua l\'aua s\'müdet in vin.«
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.