Der Weinkeller unter der Bechburg

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor über hundert Jahren kam es den Nachtwächter von Holderbank einmal an, die Trümmer der alten Bechburg zu besichtigen. Vielleicht hoffte er auch, dort einen Schatz zu finden. Er fasste Mut, und als es eben zwölf Uhr schlug, ging er zum alten Schloss. Da tat sich ein unterirdischer Gang auf, der durch Felsen und Gemäuer in die Tiefe führte. Auf einmal befand er sich in einem grossen Kellergewölbe. Auf beiden Seiten standen grosse Weinfässer. Neben dem vordersten fand er einen Becher, den er frech genug unter den Hahnen des Fasses hielt. Der Wein war süss, stark und köstlich, wie er noch keinen, weder in Balsthal beim Löwen, noch zu Langenbruck im Bären, ja selbst in Solothurn im Turm nicht getrunken hatte. Doch war ihm dabei nicht ganz geheuer, er stieg zum Keller hinaus, den Gang hinan und eilte nach Hause.

Am andern Tag stand der Nachtwächter wieder vor dem alten Schloss; dieses Mal hatte er zwei hölzerne Kannen mitgebracht. Gang und Keller fanden sich gleich vor wie am Vortag. Er füllte die beiden Kannen und stieg durch den Gang aus dem Keller. Doch am Ausgang des Kellers blieb er erschrocken stehen. Da sassen zwölf uralte Frauen an einem Tisch, und am Kopfende erkannte er die letztverstorbene gnädige Frau Landvögtin zu Falkenstein mit der Frau Untervögtin von Balsthal. Zu Füssen der alten Frauen lagen zwölf schwarze Möpse. Der Nachtwächter zog seine Kappe, machte eine tiefe Reverenz und sagte dabei: «Alle guten Geister loben den Herrn. Gelobt sei Jesus Christus.» Auf diesen Gruss hin erhoben sich die zwölf alten Frauen und die Landvögtin sprach: «Komm sooft du willst in den Keller und nimm dir Wein; aber nur für dich und deine Familie. Und verschweige, was du gesehen hast; wenn nicht, wirst du sterben!»

Und dann war mit einem Male alles verschwunden. Der Nachtwächter fand sich vor dem Schloss mit seinen zwei gefüllten Kannen. Am anderen Tag gab er auch seiner Frau von dem Wein, aber erst als er ihr hoch und heilig versichert hatte, dass er den Wein nicht gestohlen habe, trank sie auch. Als die zwei Kannen leer waren, stieg der Nachtwächter wieder in den Schlosskeller und füllte die Kannen, wie dann noch viele Male im Jahr.

So ging das Jahre. Im zwölften Jahr aber besuchten zwei Nachbarn den Nachtwächter, und unbedacht stellte er diesen alten Schlosswein auf. Diese schöpften Verdacht, weil man solchen Wein weder im ganzen Tal, noch auf Falkenstein oder beim Dekan in Balsthal fand. Sie gingen zum Landvogt und verklagten den Nachtwächter.

Da musste dieser mit seinem Geheimnis herausrücken, und der Landvogt befahl dem Nachtwächter, in der gleichen Nacht wieder zum Schlosse zu gehen und die Kannen für ihn zu füllen. So köstlich schmeckte ihm der Wein. Dabei liess er ihn heimlich von zwei Knechten beobachten.

Doch kaum hatte der Nachtwächter den Gang betreten, erhielt er eine so kräftige Maulschelle, dass er zu Boden sank. Als er sich erhob, sah er sich vor dem Tisch, hinter dem die zwölf alten Frauen sassen, mit ihren schwarzen Möpsen zu Füssen. Keine sprach ein Wort. Doch als er am Tisch vorbeigehen wollte, stand die Untervögtin auf und warf ihm dreissig Silbermünzen in die Kappe. Nun war er dem Tode verkauft. Als er draussen auf dem Schlossplatz stand, sah er auf dem Bergrücken einen Totenzug daherkommen mit vielen schwarzverhüllten Menschen, die gelbe Wachslichter trugen. Der Nachtwächter eilte erschrocken davon und legte sich zu Hause todmatt auf sein Strohlager. In aller Frühe schleppte er sich zum Landvogt, berichtete, was er erlebt hatte, und gab ihm die dreissig Silbermünzen. Darauf musste der Landvogt den Nachtwächter nach Holderbank zurückführen lassen, so schwach und krank war er. Am zwölften Tag aber war er eine Leiche.

Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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