Einst kam eine Zigeunerin, die sich vieler Zauberkünste rühmte, stellte sich vor die Höhle und rief mit kreischender Stimme:
„Wasser! Wasser! komm heraus! Wenn dein Arm mich packen kann, Will mit dem Kopf ich zahlen!"
Da fing es in dem Berg zu brausen an und ein kalter Luftzug strich aus dem Loche, so dass die Blätter der nächsten Bäume sich bewegten. Noch einmal wiederholte das Weib seine Herausforderung und schritt dann trotzig durch das trockene Bachbett zum See hinunter. Zum drittenmal rief sie höhnisch zurück: „Wasser! Wasser! komm hervor!"
Plötzlich zeigte sich eine kleine Welle, welche ihren Fuss benetzte.
Da höhnte das Weib weiter: „Wenn Du, Berggeist, nicht mehr Wasser zu spenden vermagst, so lass es lieber bleiben!"
Da rauschte es mächtig heran. Die Zigeunerin wollte aus dem Rinnsal an's buschige Ufer empor klettern, blieb aber mit dem Saume ihres Kleides an einem Dorn hängen. Ein zweiter Dorn stach sie in die Hand, so dass sie die ergriffenen Zweige fahren liess und rückwärts in den Bach stürzte, der in gewaltigem Schwall über Stock und Stein daherkam und das Weib, hie und da eine Hand oder einen Fuss aus dem weissen Schaume reckend, furchtbar zerschellt in den See hinabspülte, wo es jetzt noch begraben liegt. Aber gespenstisch lässt sich ihre Stimme bisweilen aus der Höhle vernehmen; die Einen verstehen: „Tropf! Tropf! Tropf!"
Andere glauben, es heisse: „Kopf! Kopf! Kopf!" weil das Weib nach seinem Kopfe schreie, mit dem es seinen Frevel bezahlen musste.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch