Wunderbar ist es, dass vorzüglich die alten aufgehobenen Klöster Schauplätze von Geistererscheinungen sind, und dass die alten Mönche und Nonnen in den gewölbten Gängen umherwandeln und über die Vernichtung ihres Gotteshauses wehklagend, oder zu bestimmten feierlichen Zeiten, ihre alten gottesdienstlichen Verrichtungen begehend, sich den erschrockenen Sterblichen zeigen.
So sah man oft im ehemaligen Kloster Gottstatt von aussen durch die Öffnungen den Milchkeller, der nach der gewölbten mit Wappen gezierten Decke und daran angebrachten Nischen zu urteilen wahrscheinlich die ehemalige Totenkapelle war, hell erleuchtet und hörte ein tiefes, sonderbares Sumsen darin; wollte man aber selbst im Keller genauer nachforschen, so war alles verschwunden, und man stand im Finstern.
So trieben auch im landvögtlichen Schlosse, dem ehemaligen Kloster Fraubrunnen die Geister ihr Wesen. Hänggi Sepp, ein Geiger von Ammannsegg, den viele Lebende noch kannten, wurde einst vom Landvogt Steiger, nebst anderen Musikanten an einem Samstag ins Schloss berufen, um bei einem Balle, den der Landvogt den umliegenden Güterbesitzern und Pfarrerfamilien gab, aufzuspielen. Als man gegen Mitternacht zu tanzen aufgehört, und sich die Gäste und die übrigen Musikanten, weil sie aus der Gegend waren, nach Hause begeben hatten, legte sich Hänggi Sepp mit Erlaubnis des Hausherrn, weil es ihm zu weit war, nach Hause zurückzukehren, in einem der hohen langen Gänge auf einer Bank nieder, um noch bis zur Morgendämmerung zu ruhen; aber er konnte nicht schlafen; ein ihm unerklärliches Gefühl hielt den Schlaf ferne von seinem harten Lager. Er hörte halb, er hörte dreiviertel auf zwölf schlagen, das Geräusch der im Schloss umhergehenden Diener und Mägde verstummte nach und nach, und endlich war es in den weiten Hallen des Schlosses ganz still geworden. Da schlug es vom Kirchturme zwölf, und mit dem letzten Glockenschlage hörte er von einem nahen Nebengange herkommende Schritte, wie von jemandem der ein langes Gewand trägt (’s het afo chute) und sah an der Wand den Schimmer eines Lichtes; Schritte und Licht näherten sich dem schwitzenden Geiger, der sich vor Angst nicht zu rühren wagte, immer mehr und endlich sah er langsam und feierlich eine Nonne daher schreiten, die eine düsterbrennende Lampe in der Hand und einen schweren Schlüsselbund am Gürtel trug. So wie sie näher zu ihm kam, schienen ihre Schritte immer mehr zu zögern und als sie vor ihm stand, wandte sie ihr edles marmorbleiches Antlitz gegen den Erschrockenen und schien ihn anreden zu wollen; so schwebte dreimal die hohe, weisse Gestallt mit dem schwarzen Schleier bei ihm vorüber und verschwand endlich in dem Gange, aus dem sie gekommen war. Jetzt erst wagte der Hänggi Sepp wieder freier zu atmen, aber sein Schlaf für diese Nacht war dahin, und sobald der Morgen graute, verliess er das Schloss.
Dies erzählte Hänggi Sepp oft, mit dem Beisatz, dass sein Beichtvater, als er ihn deshalb um Rat fragte, ihm gesagt habe, er hätte die Nonne anreden und fragen sollen, was er zur Ruhe ihrer Seele tun könne, denn wirklich hätte sie durch ihn als Katholiken, erlöst werden können.
Aus: R. M. Kully, H. Rindlisbacher, Die älteste Solothurner Sagensammlung, in: Jurablätter. Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 1987. Mit freundlicher Genehmigung von R.M.Kully. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.