Um das 14. Jahrhundert herum lebte in Freiburg ein Metzger, der hatte einen merkwürdigen Wetzstein, woran er Beil und Messer scharf schliff. Das war ein fester Knochen, der den Schneidewerkzeugen die beste Schärfe verlieh. An einem Markttage hielt der Metzgermeister sein Fleisch auf einem Stand feil, wie er es immer gewohnt war. Als er das Hackmesser mit dem knöchernen Wetzstein schliff, sagte er zu den andern Kameraden: «So gut wie mein Wetzstein findet sich nicht leicht ein zweiter; probiert einmal mit meinem Knochen, er gibt eine gute Schärfe.» Da probierten zwei Metzger den sonderbaren Wetzstein, ein dritter nahm ihn und wollte damit sein Fleischmesser schärfen; da geschah etwas Unglaubliches. Der Knochen lief rot an, wurde röter und röter, bis auf einmal Blutstropfen aus demselben hervortröpfelten; unaufhörlich floss das Blut, bis auf dem Boden sich eine schaurige Blutlache gebildet hatte. Da liefen die Leute auf dem ganzen Markt zusammen und schrien und riefen allerlei Mutmassungen durcheinander. Der verstörte Schlächter wurde auf die Polizei geführt und daselbst einer strengen Befragung unterzogen. Da gestand er unter vielen Tränen ein längst verübtes Verbrechen. Er hatte vor Jahren einen Mord an einem Unschuldigen verübt. Der Täter konnte damals nicht gefunden werden. Erst jetzt, als der blutige Knochen Zeugnis ablegte, wurde der Mörder bekannt.
Angesichts des unaufhörlich blutenden Wetzsteins legte er nun ein offenes Geständnis ab. Er musste seine Untat mit dem Tode sühnen. Der blutende Wetzstein konnte erst durch das Gebet des Priesters zum Stillstand gebracht werden. Der Metzger benützte den unheimlichen Knochen nie mehr.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.