Zwei Burschen gingen an einem Sonntagabend zum Kilten (Abendbesuch bei der Geliebten) nach einem benachbarten Gehöft im Trossland (Rechthalten). Dieses war kaum eine Viertelstunde entfernt. Nachdem man sich bis gegen Mitternacht mit der befreundeten Familie aufs beste unterhalten hatte, kehrten die Kilter nach Hause. Der Mond tauchte die ganze Landschaft in sein mildes Licht. So schnell jedoch die zwei Burschen auch liefen, sie kamen dennoch nicht voran. Wenn sie sich umschauten, bemerkten sie, dass sie sich immer noch in der Umgebung des besuchten Hauses befanden. Sie meinten die Landstrasse vor sich zu haben, an welcher zu beiden Seiten Bäume gepflanzt waren. Ein merkwürdiges Licht glänzte über dem Wege. Schon war eine Stunde verflossen, immer noch waren die zwei Freier nicht daheim. Obschon die Gegend mit allen Wegen ihnen bekannt war, fanden sie sich dennoch nicht zurecht. Betrunken waren sie nicht. Alles schien verhext, und es ging da nicht mit rechten Dingen zu. Da fiel es dem einen der Burschen ein, wie seine Mutter erzählt habe, man solle bei solchen Gelegenheiten das Johannesevangelium beten, wie es am Schlusse jeder Messe vom Priester gebetet wird; dann werde jeder böse Spuk verschwinden. Kaum hatte der Beherzte laut begonnen: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott», verschwand mit einem Male die glänzende Allee und jeglicher Zauber. Beide erblickten nun den richtigen Weg und liefen so schnell sie ihre Füsse trugen dem Elternhaus zu. Gerade schlug es von der Dorfkirche drei Uhr früh. So waren die beiden Kilter fast drei Stunden gefoppt worden. Dieses Verirrren, von zauberischer Kunst verursacht, nennt der Oberländer «Verirrkraut».
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.