In einem Dorfe wurde einst der Nachlass eines gelehrten Sonderlings versteigert. Darunter fand sich unter anderem auch eine Anzahl staubiger Bücher, die in Leder und Pergament gebunden waren. Einige Scharteken waren in fremder Sprache verfasst, darunter eines in lateinischer Sprache; darin sah man allerlei seltsame Zeichen und Figuren. Ein Trödler erstand für sich um einen geringen Preis die Bücher, die sonst keine Abnehmer gefunden hätten. Der Händler hatte in seinen jungen Jahren etwas Latein studiert, und er stand etwas im Rufe eines Zauberkünstlers, eines Mannes, der wie die Leute sagen, mehr konnte als Brot essen. Abends schloss er sorgfältig Tür und Fensterladen und fing beim matten Licht einer Öllampe an, das lateinische Büchlein durchzublättern, bis er auf eine Beschwörungsformel stiess. Neugierig begann der Trödler die lateinischen Worte zu buchstabieren. Doch da war es mit der häuslichen Ruhe vorbei. Im ganzen Hause fing ein entsetzliches Kettenrasseln an, ein Rollen und Durcheinander tobte draussen im Hausgang. Plötzlich fragte eine hohle Geisterstimme: «Was begehrst du von mir?» Den Beschwörer packte ein eisiges Grausen. Er bannte den unwillkommenen Frager wieder fort. Dann ergriff er das Zauberbuch und warf es noch am selben Abend ins lodernde Kaminfeuer, denn das verhexte Buch sollte nicht noch schlimmeres Unheil anstiften, in seinen oder noch unberufeneren Händen.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.