Es war um die Fasnacht herum. Da zügeln seit alters her Pächter und Bauern nach dem neuen Anwesen, das sie erstanden oder gepachtet haben. Auch der Pächter des ausgedehnten Herrschaftsgutes von Tscherlun war mit all dem unruhigen Hin- und Herhasten einer «Züglete» vollauf in Anspruch genommen. Geschäftig trug das Gesinde die abgenutzten Möbel aus dem Hause. Kräftige Männerarme luden das Mobiliar auf zwei wuchtige «Brügiwagen»; zuunterst legten sie die schweren Schränke, Tische und Truhen, darüber die leichteren Gegenstände, wie Sessel, Kannen, Eimer, Werkzeuge und Geräte, wie sie eben in einem Bauernhause benötigt werden. Zuoberst verstaute man wertloseren Kleinplunder, Besen, Bürsten, Schachteln und sonstigen Krimskrams, wie er sich im Laufe der Jahre in einer Haushaltung anhäuft. Solide Seile wurden über das Fuder gespannt, um das Abrutschen der aufgetürmten Gegenstände zu verhüten.
Gemächlich näherte sich der Meisterknecht dem Wagen. Mit kritischen Augen musterte er das hohe Fuder, ob es wohl eine holperige Landfahrt aushalten könne. «Jetzt haben wir noch etwas vergessen aufzuladen», sagte er gespässig. «Was fehlt denn noch?» fragte der Bauer neugierig. «Ds Rùnggeli haben wir im Hause vergessen», fügte lachend der Knecht hinzu. Damit bezeichnete er den alteingesessenen Hausgeist, der seit Jahren auf dem Tscherlunerhofe Heimatrecht besass.
Ja, das Rùnggeli! Ein merkwürdiger Kauz war es schon. Jeder Insasse des weitläufigen Gutes hätte darüber etwas erzählen können! Manch unruhige Nacht hatte der Kobold den Leuten schon bereitet. Und erst die mutwilligen Streiche, die er zeitweilig in Stall oder Scheune verübte! Als die Dienstboten einmal das Aufstehen vergassen, schlich sich der Witzbold in die Knechtekammer und kitzelte sie mit einem Strohhalme so lange an der Nase, bis sie mit einem urkräftigen Niesser aufwachten. Auf das empörte Schimpfen über den Frechling tönte aus einem verborgenen Schlupfwinkel ein schadenfrohes Kichern als Antwort.
Ein anderes Mal warf das Wichtelchen in der Tenne einen ganzen Heuballen auf den Jungknecht, so dass dieser ganz erschrocken ins Freie rannte. Doch erwischen liess sich der schlaue Plaggeist niemals. Zudem richtete sein Schabernack keinen ernstlichen Schaden an; so liess man ihn ruhig gewähren. Auf die spöttische Äusserung des Knechtes erwiderte der Meister missgelaunt: «Das Rùnggeli soll nur an seinem altgewohnten Orte bleiben!» Darnach holte der Meisterknecht zwei feurige Braune aus dem Stall und spannte sie an den vorderen Zügelwagen. Mit der langstieligen Peitsche knallend, gab er das Zeichen zur Abfahrt.
«Hü Fanny, Hü Flora!», rief der Fuhrmann den gutgenährten Pferden zu. Mit festem Ruck zogen die Gäule an, aber es riss sie gewaltsam zurück. Der Wagen rührte sich keinen Zentimeter vom Platze. Zwei-, dreimal schwang der ungeduldige Rosslenker seine Peitsche drohend über die widerspenstigen Tiere. Aber so kräftig die Pferde auch die Stränge anzogen, dass die flatternden Mähnen ihnen um die schlanken Hals flogen, sie brachten das Gefährt doch nicht vom Fleck. Zornig stampften die Hufe den harten Boden, dass die Funken sprühten.
«Der Wagen ist zu schwer beladen», schimpfte der Knecht. Er holte noch zwei Nachbarpferde als Vorspann. Umsonst! Auch vier Pferde brachten den Wagen nicht weiter. «Das geht nicht mit rechten Dingen zu», rief der erschrockene Bauer, hier hat eine unheimliche Macht ihre Hand im Spiel. Sofort liess er aus Freiburg einen alten, erfahrenen Mönch kommen, damit er Pferde und Wagen vom bösen Banne löse.
Der Kapuziner kam. Lange und inbrünstig betete er aus seinem lateinischen Gebetbuche, bis ihm der helle Schweiss in dünnen Bächlein von der Stirne rann. Nachdem er seine bannkräftigen Gebete beendet hatte, befahl er dem Pächter: «Nimm einen Hammer und schlage am rechten Hinterrad des Zügelwagens eine Speiche aus!» Der Meister verwunderte sich über den seltsamen Auftrag, führte ihn aber sogleich aus.
Päng! Päng! hämmerte der schwere Eisenhammer gegen das Wagenrad. Im selben Augenblicke flitzte blitzschnell eine schwarze Gestalt unterm Wagen fort. Der Zauberbann war gebrochen. Erbost über des Knechtes Spottreden hatte sich der Kobold unterm Wagen versteckt und gewaltsam die Räder festgehalten. Erst die wirksame Beschwörung des braunen Mönches trieb ihn fort.
Mit Leichtigkeit zogen nun die zwei feurigen Rosse den schweren Zügelwagen fort. Der unruhige Hausgeist blieb nicht mehr in seinem gewohnten Heim. Er verschwand für immer vom Tscherluner Heimwesen und liess sich fortan nicht mehr blicken.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.