Eine gute halbe Stunde oberhalb des reizend gelegenen Kirchleins St. Silvester liegt am nördlichen Abhang des Käsenberges die Bergweide «Schwand». Der Besitzer derselben suchte sich einst einen Knecht für den «Bergheuet». Auf dem Wege begegnete ihm ein kleines Männchen mit klugen Äuglein und fragte, ob es sich nicht als Knecht für den Heuet beim Bauer verdingen könne. «Gewiss brauch’ ich einen Knecht, antwortete der Bauer, grad’ bin ich auf der Suche nach einem. Aber bist du wohl kräftig genug, um mähen und aufladen zu können?», fragte er zweifelnd das Männlein. «Versuch’s ein paar Tage mit mir», flehte es. Der Vorschlag wurde angenommen, bald waren beide handelseinig. Noch am selben Abend trat der winzige Heuer seinen Dienst an. Am nächsten Morgen sollte er Grünfutter schneiden. In wenigen Minuten war die Arbeit beendet. Der Meister wunderte sich darüber, liess es sich jedoch nicht merken. Er hiess den Knecht die ganze Bergwiese abmähen. Bis Mittag sollte er damit fertig werden. «Ich will’s probieren», meinte das Männchen und ging. Sein Herr aber versteckte sich hinter einer Hecke, um zu sehen, wie der merkwürdige Kauz seinen Befehl ausführe. Da sah er etwas Unerhörtes! Das Knechtlein umschritt die ganze Wiese, wobei er allerhand unverständliche Worte brummte. Darnach nahm er die Sense zur Hand, mähte ein paar Striche und setzte sich dann gemütlich am Wiesenrand nieder. Aber unsichtbare Hände schnitten das Gras kunstgerecht ab und breiteten es zum Dörren aus. In weniger als einer halben Stunde war die Wiese abgemäht und das Gras ausgebreitet. Flink eilte der Bauer heim und wartete auf den wunderlichen Dienstboten. Als zu Mittag dieser zurückkehrte, liess sich sein Herr nichts anmerken. Am folgenden Tage musste der Kleine das Heu ganz allein unter Dach bringen. Er nahm eine Gabel voll Heu und trug sie einen geheimnisvollen Spruch murmelnd auf den Heuboden. Und husch! husch! wie ein Sturmwind flog das Heu von der Wiese her zum Scheunentor herein an seinen richtigen Platz. Durch jede Ritze und Öffnung drang es durch, bis kein Halm mehr draussen lag. Jetzt überkam den Bauern doch ein kaltes Grausen vor dem zauberhaften Treiben seines flinken Heuers. Er wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Deshalb rief er ihn her, bezahlte ihm den ausbedungenen Lohn und entliess ihn. Alles Nachforschen und Fragen nach der Herkunft des rätselhaften Männleins blieb erfolglos. Ungekannt, wie es gekommen, verschwand es auch. In «Schwand» aber hat sich sein Andenken vom Grossvater zum Enkel erhalten, und gerne erzählt der jeweilige Besitzer dieser Bergweide die Geschichte vom fremden Knecht.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.