Das Kreuz auf der Sennhütte

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

An einem warmen Augusttag machten die Teufel des reformierten Berngebietes einen Ausflug ins katholische Freiburgerländchen. Mit gewaltigen Sprüngen setzten die Unholde über die Sense, welche die Grenze zwischen beiden Kantonen bildet; sie flogen über die Berra und hüpften mit Riesensätzen über das Saanetal hinüber ins romantische Greyerzerland. Mit einem Male stutzten die gehörnten Gesellen; da unten am Fusse des Moléson erblickten sie eine neuerbaute Sennhütte. Auf deren funkelnagelneuem Schindeldach thronte das Zeichen der Erlösung, ein einfaches, schlichtes Holzkreuz. Das hinderte das Vordringen der kohlschwarzen Höllentyrannen. Das Siegeszeichen des verhassten Nazareners reizte ihre Wut. Sie riefen das Gewitter herbei und befahlen ihm: «Stürz die Hütte den Abhang hinunter!» Heulend zog das Unwetter heran. Ein Donner, wie wenn hundert Kanonen brüllten, brauste über die Sennhütte her; wie Feuerregen prasselten die sengenden Blitze herab; ein heftiger Sturmwind gab die Begleitmusik dazu mit solcher Gewalt, dass selbst die trutzigen Bergtannen wie Grashalme zitterten. Aber vor der Tür der Sennhütte machte das Gewitter halt. «Stoss zu! Pack an!» hetzten die Söhne der Unterwelt. «Ich kann nicht mehr weiter», entgegnete das Gewitter. «Wer hindert dich denn?» «Das Kreuz auf dem Dach und die drei heiligen Namen über dem Eingang der Türe», lautete die Antwort. «Probier’s gleich!» schrien die Gehörnten. Das Unwetter machte von neuem einen Versuch. Es rüttelte an den Türen und Fensterläden, es zerrte an den Dachschindeln, tobte, dass die Scheiben klirrten und die grauen Balken ächzten, aber die Sennhütte hielt stand, denn in demselben Augenblick beteten drinnen in der rauchgeschwärzten Stube die Sennen den christlichen Haussegen, den ihre Grosseltern einst von einer Wallfahrt nach Einsiedeln heimgebracht hatten. Auf Karton war er aufgezogen, mit grossen Buchstaben gedruckt und mit Goldrand verziert. Oben stand das Bild der heiligsten Dreifaltigkeit, in der Mitte die Gnadenmutter mit dem göttlichen Knaben auf den treuen Mutterarmen. Unten schauten der unvergleichliche Drachenbesieger Sankt Michael und der hl. Schutzengel ganz muterweckend auf den betenden Christen. Die Kraft dieses alterprobten Wundergebetes war grösser und mächtiger als alles Toben der grimmigen Winde. Als die Naturgewalten ihre Anstrengungen vereitelt sahen, kehrten sie sich gegen ihre Anführer, die neidischen Söhne der höllischen Finsternis. Sie stiessen und jagten die Satansgesellen über Stock und Stein, über Berg und Tal wieder ins Gebirge zurück. Bald wurden die Trabanten Luzifers in die Höhe gehoben, bald wieder in die schwindelnden Felsenschluchten hinuntergestossen; bald streiften die zottigen Glieder die Kronen der Bäume, oder sie wurden von den rauen Zacken und spitzen Kanten der Felsen zerschunden. Wollten sich die Satansbuben ausruhen, wurden sie alsogleich wieder vom Sturm ergriffen und weiter gequält. Drei volle Stunden dauerte dieses wüste Treiben. Auf den Weiden und in den Sennhütten hielten Mensch und Tier den Atem an und wussten sich das Tosen und Wüten in den Lüften gar nicht zu deuten. Der Sturmwind liess erst dann nach, als er die russigen Boten der Hölle über Steingeröll und zackige Eisfelder nach dem Berner Oberland geschleppt hatte. Die geschlagenen Trabanten der Finsternis fluchten und lästerten in den grässlichsten Ausdrücken der Höllensprache; selbst ein Appenzeller oder St. Galler müsste sich hierin besiegt erklären! Aber alles Sträuben half den Bösen nichts. Tags darauf sah man über den Bergeshäuptern eine schwarze Wolke dahinziehen; nach der Meinung der schlichten Älpler waren es die ausgerissenen Federn der besiegten Geister Beelzebubs; der Wind trug sie als Siegestrophäen in die Ferne. Die silbernen Firnen der Berner Gletscher aber, über welche die Geschwänzten flogen, sahen schwarzgefärbt aus wie ein hundertjähriger Fabrikschlot. Sankt Petrus musste erst einen kräftigen Gewitterregen heruntergiessen, bis sich die ehrwürdigen Häupter den Menschen wieder in alter Sauberkeit und Firnenglanz präsentieren konnten.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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