Es war um die Wende des 18. Jahrhunderts. Da lebte in einem strohbedeckten Holzhäuschen am Fusse des Schönbergs Steffel Zahno, ein armer Taglöhner. Er stand im Dienste des reichen Barons von Wild, der auf dem Schönberg ausgedehnte Äcker und Wiesen besass. Bei seinen Untergebenen war der Baron seiner Strenge wegen gefürchtet. Er nahm es sehr genau mit der Ausführung seiner Anordnungen. Dagegen kargte er nicht mit dem Essen; deswegen blieben die Dienstboten gerne auf seinem Gute. An einem sonnigen Septembertage arbeitete Steffel auf einem Acker in der Nähe des Galterntales. Eine steile Felswand grenzte das Besitztum des Barons nach dieser Seite ab. Emsig wirkte der Taglöhner drauflos; seine Gedanken aber schweiften heim zu seinem kränklichen Weib Margret und seinen 6 kleinen Kindern, die er zu ernähren hatte. Seit der Geburt ihres letzten Kindleins, der schwächlichen Anneliese, konnte sich die Frau nicht mehr recht erholen. Ihr fehlte eine kräftige, nahrhafte Kost; denn alles was ihr Mann verdiente, ging auf im Unterhalt der Kinder. Notdürftig reichte der Rest noch zur Bestreitung des Hauszinses aus. «Ja, wenn ich nur nicht so ein armer Teufel wäre, meine Frau müsste es besser haben», dachte Steffel wehmütig. «Wäre nur ein Zehntel vom Reichtum meines Brotherrn mein Eigen, ich würde den geschicktesten Stadtarzt kommen lassen, der mein Weib wieder gesund machte; aber wir Armen müssen halt so zufrieden sein.» Unterdessen war die Zeit des Vesperns gekommen. Der Mann fühlte einen mächtigen Hunger. Steffel begab sich in den Schatten des nahen Felsens, um dort sein Vesperbrot zu verzehren. Eben wollte er sich zu Boden setzen, als er vor dem Eingange einer kleinen Höhle eine hässliche Spinne erblickte, die ihr Netz über die ganze Breite der Öffnung gespannt hatte. Steffel nahm sein Werkzeug, und mit einem Hieb vernichtete er Spinne und Netz. Nachher setzte er sich auf einen Stein, packte ein grosses Stück Roggenbrot mit Käse aus und begann hastig zu essen. Da raschelte es plötzlich hinter ihm, und auf einmal kroch eine meterlange Schlange aus der Höhle. Und merkwürdig! Im geöffneten Rachen trug sie ein goldenes Krönlein! Das Tier nahm seinen Weg direkt auf den Sitzenden zu. Bevor der erschrockene Steffel noch einen Gedanken fassen konnte, huschte das Tier blitzschnell bis zu seinen Füssen. Dort legte die Schlange das Krönlein nieder, starrte den Mann eine Weile an und kehrte alsbald wieder in ihr Versteck zurück. Zahno traute seinen Augen kaum, als er das sonderbare Geschenk der Schlange betrachtete. Zuerst wagte er es nicht, das Krönlein zu berühren, weil er an einen bösen Spuk glaubte. Nach einigem Zögern nahm er vorsichtig das Geschenk in die Hand. Ja, wahrhaftig, es war echtes Gold, was er da zwischen den klobigen Fingern hielt! Die Schlange hatte ihm das Krönlein zum Dank dafür geschenkt, weil er die von ihr gefürchtete, hässliche Spinne getötet hatte.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.