Im alten Bauernhaus von Tscherlan, so erzählte mir der achzigjährige Holzmattenchristi, hauste vor sechs Jahrzehnten ein «Unküür». Es fügte Menschen und Tieren allerlei Unbill zu. Als man sich den Umtreibereien des Ungeheures gegenüber nicht mehr zu helfen wusste, holte man einen altehrwürdigen Kapuzinerpater aus der Stadt. Dem gelang es, den Spukgeist aus dem Hause zu vertreiben. Drunten an einem öden Schuttplatz bei der Wiese wurde das Gespenst festgebannt, der Ärgeraseite zu.
Allmählich fiel diese Geschichte der Vergessenheit anheim. Andere Leute bezogen das Anwesen. Sie wussten nichts von den früheren Vorfällen. Wenn man ihnen vom Ungeheuer erzählte, lachten sie darüber ungläubig. Als das alte Wohnhaus baufällig geworden war, beschloss der bisherige Eigentümer, ein neues zu bauen. Als Bauplatz wurde jenes Wiesenstück gewählt, wo nach der Überlieferung der Spukgeist verbannt worden war. Man wollte damit den Leuten zeigen, wie grundlos ihre Ansicht über den verwünschten Platz sei. Das neue Bauernhaus war vollendet. Doch das Glück schien drinnen nicht eingezogen zu sein. Ein Unglücksstern schwebte über der neuen Wohnstätte. Allerorts haperte es; bald waren im Stall die Tiere in ihre Halsseile verstrickt, dass sie zu ersticken drohten, dann war unversehens eine Kuh erkrankt; oft verwarfen die trächtigen Kühe oder kalbten schwer. Die Pferde schlugen in gewissen Nächten wild umher, und die Kühe rissen sich erschreckt von den Ketten los; anderntags gaben sie dann rote Milch oder gar keine. Ein boshaftes Wesen schien fortgesetzt diesem Hause Menschen und Tieren zu schaden. In Verbindung mit diesen unerfreulichen Wahrnehmungen schien ein rotes Pferd zu stehen. Es gestellte sich auf der Weide den andern Rossen zu; es liess sich aber nie anrühren oder fangen; ehe man’s gewahrte, war es plötzlich wie vom Erdboden verschlungen. Aber allemal wenn das rote Pferd sich blicken liess, geschah etwas Ungutes. Der Plackereien müde, beschloss der Bauer, sein Haus abreissen zu lassen und es an günstigerer Stelle neu zu errichten. Bevor das neue Wohnhaus bezogen wurde, liess man alle Räume darin vom Priester aussegnen. Er verbannte das Gespenst in die Schlucht des Rüttibaches. Der Ort wurde mit Pfählen abgesteckt. Von der Zeit an liess sich das rote Pferd nicht mehr blicken. In Haus und Stall herrschte wieder Ruhe. Man war des Glaubens, das rote Pferd sei der Böse gewesen, der wegen eines früheren Unrechtes über Haus und Hof die Macht erhalten habe, denn weit und breit gab es in der Umgegend kein so rotes Pferd zu sehen.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.