Fliegendes Korn

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Nicht weit entfernt vom obstreichen Dorf Schmitten liegt das enge Mühletal. Seine Ränder sind umsäumt von hügeligen Matten und düsterem Tannengehölz. Ungefähr in der Mitte des Tälchens stand ehedem eine ansehnliche Mühle, deren Schaufelräder von den kühlen Fluten des Tavernabaches getrieben wurden. Das Rauschen des Mühlrades brauste bei Tag und Nacht, gab’s doch in der weiten Umgebung damals nur eine einzige Mühle. Das Mahlgeschäft ging flott.

Trotzdem war der Müller, ein Geizhals und Kornwucherer, nie zufrieden. Wer bei ihm Mehl oder Korn kaufte, musste doppelt zahlen. Wollten die Leute die geforderte Summe nicht geben, so half sich der Arglistige auf seine Art. Seine Waage zeigte zweierlei Mass und Gewicht; das Zünglein richtete sich auffallend genau nach dem Willen seines Herrn.

Bald häuften sich in der eisenbeschlagenen Truhe des Müllers die goldfeurigen Taler und glitzernden Silbermünzen; ein hübsches Vermögen nannte er sein Eigen; dennoch war sein Geldhunger nicht gestillt. Sein ganzes Sinnen und Schaffen ging darauf aus, die Schätze zu mehren. Arme und Bettler hörte der Verblendete nicht an. Mit wüsten Drohungen, ja mit Hunden jagte er sie fort, wenn sie um eine Handvoll Mehl baten oder um ein Stücklein Brot.

Nach einem nassen Sommer gab’s eine Missernte. Der Winter war kaum halb vorbei, als der Bauern Kornvorrat schon aufgezehrt war. Manche Familie, die sonst nie Mangel verspürt hatte, sah das Hungergespenst durch die geleerten Speicher und Mehlkasten schweben. Dünn, eingefallen wurden die zuvor pausbackigen Wangen der Bauernkinder. Grimmiger noch setzte der Hunger den Armen zu, die in guten Jahren gar manches Brot von gebefreudigen Bäuerinnen erhalten hatten. Die Bauern waren gezwungen, ihren Mehlbedarf beim reichen Müller zu ergänzen, dessen Kornspeicher bis zum Rand mit kostbarer Frucht gefüllt waren. Der herzlose Wucherer wollte mit dem Verkauf des Kornes warten, bis es den Höchstpreis galt und öffnete daher die Türen des Überflusses nicht; sie waren verrammelt. Die Hungernden konnten nicht einmal um gutes Geld das notwendige Getreide kaufen.

Beim Steinhofer war die Not aufs Höchste gestiegen. Er nahm all sein Bargeld, um wenigstens einen Scheffel Korn zu erstehen; schon 3 Tage war kein Bissen Brot über seine Lippen gekommen; die Kinder schrien, die Frau weinte. Bedrückt klopfte Steinhofer beim schlauen Kornwucherer an und bot all sein Geld um den Scheffel Korn. Dem Geizhals war’s zu wenig. Da rief der arme Landmann seinem Peiniger zu: «Du sollst am verborgenen Korn keinen Segen haben! Zum Verderben sei es dir, weil du kein Mitleid fühlst mit des Nächsten Not!» Zornig sprach er’s und ging ohne Gruss heim.

Der Fluch des Verzweifelten traf ein. Das Korn begann sich zu bewegen. Im Kornkasten entstanden geflügelte Insekten, das kostbare Getreide flog durch Ritzen und Löcher davon, bis die Kasten leer waren. Der Habsüchtige war bestraft. Der Verlust ging ihm so zu Herzen, dass er schwer erkrankte und bald starb.

In den finstern Quatembernächten rast eine schauerliche Gestalt durch’s Mühletal. Der ruhelose Müller reitet auf feurigem Ross die Hänge hinauf und hinab. Bis nach Flamatt zog das grauenvolle Gespenst des verwünschten Wucherers.

Auch in der Mühle polterte es gewaltig. Einem frommen Mönch gelang es, den lästigen Geist zu bannen.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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