Im hochgelegenen Dörfchen St. Silvester lebte vor einigen Jahrzehnten ein heiligmässiger Kaplan, Neuhaus mit Namen; das Volk heisst ihn kurzweg «Husli». Er stammte aus Oberschrot, war später Pfarrer in Jaun, nachher Kaplan von St. Silvester. Seine letzte Ruhestätte ist in Giffers, wo er starb. Wegen seines tugendhaften Lebens und seines leutseligen Wesens wurde er bald in der weiteren Umgebung bekannt. Der Kaplan war sehr mildtätig gegen die Armen, denen er alles verschenkte, während er sich mit einem fadenscheinigen Talar begnügte. Um die Gestalt dieses musterhaften Priesters hat sich ein blütenreicher Sagenkranz gebildet, ein beredtes Zeugnis seiner Volkstümlichkeit. Diese Sagen setzen ihm gleichsam ein geistiges Denkmal beim Volke, in dessen Gedächtnis der fromme Husli lebendig weiterlebt.
Wieder einmal erregte Husli Aufsehen. Er besuchte eine Konferenz in einem benachbarten Dorfe. Als einer der letzten trat er zu den versammelten Mitbrüdern. Mit seiner abgeschossenen Sutane, die stark ins Grüne schimmerte und durch häufiges Flicken einer bunten Gemeindeallmend glich, stach der gute Pfarrer unvorteilhaft ab gegen die feinen Talare seiner Amtskollegen; denn Husli gab nicht viel auf das Äussere. Die Herren schauten halb spöttisch, halb mitleidig auf die armselige Kleidung ihres Mitbruders. Gelassen nahm Husli Hut und Mantel ab und suchte sie an einen Kleiderhaken zu hängen. Aber alle Haken waren schon mit Hüten und Mänteln überladen. Husli schaute ratlos umher, die anderen Herren weideten sich an seiner Verlegenheit. Sie hatten aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn währenddessen huschte ein Sonnenstrahl durch die Stube über die Wand hin. Zur nicht geringen Verwunderung der Anwesenden hing Husli gemächlich seinen Hut und Mantel an den Sonnenstrahl, und der hielt stand. Da verschwanden die spöttischen Mienen der Mitbrüder und machten ehrwürdigem Staunen Platz. Denn solch augenscheinlichen Beweis von Huslis Wunderkraft hatten die Herren bisher noch nie erlebt. Ihre Hochachtung wuchs vor der Frömmigkeit des unscheinbaren, armen Pfarrers.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.