Im hochgelegenen Dörfchen St. Silvester lebte vor einigen Jahrzehnten ein heiligmässiger Kaplan, Neuhaus mit Namen; das Volk heisst ihn kurzweg «Husli». Er stammte aus Oberschrot, war später Pfarrer in Jaun, nachher Kaplan von St. Silvester. Seine letzte Ruhestätte ist in Giffers, wo er starb. Wegen seines tugendhaften Lebens und seines leutseligen Wesens wurde er bald in der weiteren Umgebung bekannt. Der Kaplan war sehr mildtätig gegen die Armen, denen er alles verschenkte, während er sich mit einem fadenscheinigen Talar begnügte. Um die Gestalt dieses musterhaften Priesters hat sich ein blütenreicher Sagenkranz gebildet, ein beredtes Zeugnis seiner Volkstümlichkeit. Diese Sagen setzen ihm gleichsam ein geistiges Denkmal beim Volke, in dessen Gedächtnis der fromme Husli lebendig weiterlebt.
Ein andermal wurde Husli zu einem Besessenen in den Graben bei Giffers gerufen. Als er nun die vorgeschriebenen Gebete des Exorzismus verrichten wollte, verhöhnte ihn der Geist und rief: «Was unterstehst du dich, mich zu belästigen. Du hast ja erst kürzlich auf einem Acker in Tscherlun eine Rübe gestohlen. Gib zuerst das Gestohlene zurück.» Der Geistliche wurde ob dieses Vorwurfes sehr betroffen und sann nach. Da erinnerte er sich, dass er einige Tage vorher bei einem Gang zu einem Kranken am besagten Acker eine Rübe herausgezogen hatte, um damit seinen Hunger zu stillen. Sogleich machte sich der gewissenhafte Seelenhirte auf den Weg, um das geschehene Unrecht, wenn es auch noch so geringfügig war, wieder gut zu machen. Der Bauer machte grosse Augen, als der demütige Kaplan seinen kleinen Diebstahl bekannte und meinte, wegen dieser Kleinigkeit hätte sich der Geistliche den Weg sparen können. Doch Husli liess sich erst beruhigen, als ihm der Bauer ernstlich versicherte, er schenke ihm die Rübe. Mit einem herzlichen Dankeswort verabschiedete sich der Seelsorger. Als er neuerdings zum Besessenen kam, gelang es ihm erst jetzt, den Quälgeist zu vertreiben. Denn vor solcher Demut beschämt, wagte der Böse keinen weiteren Widerstand und zog beschämt und besiegt in sein finsteres Reich der Unterwelt hinab.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.