Zwischen Herrenscheuer und Poya bei Rechthalten hielt sich vor vielen Jahren ein Spukgeist auf, der die nächtlichen Wanderer belästigte. Er stellte sich den Heimkehrenden in den Weg oder, wenn ein Fuhrwerk daherkam, tat er so, als ob er sich unter die Räder werfen und sich überfahren lassen wollte, wobei er dann ein fürchterliches Geheul ausstiess, dass es einem durch Mark und Bein fuhr. Bald zeigte sich das Ungeheuer in Frauengestalt, bald nahm es die Form eines hässlichen Tieres an. Besonders an heiligen Zeiten, wie Fast- und Quatembertagen, trieb das Ungeheuer sein Unwesen. Einst begab sich ein Rechthaltner Bursche nach der Poya zum Kiltgang zu seiner Geliebten, wo er sich bis zur Mitternacht aufhielt. Lustig und guter Dinge begab er sich, ein Liedlein pfeifend, auf den Heimweg. Als er beim Ramenholz anlangte, erblickte er plötzlich die schwarze Gestalt des Unholdes. Und ehe er’s gewahr wurde, packte ihn das Gespenst am Rücken. Schreckerfüllt wollte er die Flucht ergreifen, aber die Beine versagten ihm den Dienst. Er konnte keinen Schritt weiter setzen. Er wollte um Hilfe rufen, aber er brachte keinen Laut heraus. Zitternd und schlotternd vor Grausen musste er auf demselben Platz stehen bleiben bis zum Morgengrauen. Als endlich die schreckliche Wartezeit vorbei war und die Betglocke von Rechthalten den Engel des Herrn läutete, fiel der Bann vom Unglücklichen. In weiten Sätzen keuchte er das Bergli hinauf nach Hause. Als er daheim anlangte, fühlte er im Gesicht eine grosse Geschwulst. Er musste sich ins Bett legen und drei Tage darnieder liegen. Erst nachher genas er wieder.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.