Das Ungeheuerlein im Plasselbschlund

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Früher erzählte man von einem Geiste, der im Plasselbschlund sich hin und wieder merken liess. Viele Leute meinten, er sei das Spielmännlein. Er war zwar nicht grösser, aber doch viel stärker, und des Nachts fürchterlich anzusehen.

Er sah aus wie ein zottiger, kleiner, schwarzer Bär mit feuersprühenden Augen. Trotzdem gab es verwegene Leute, die das Ungeheuerlein, wie man es nannte, mit Schimpfreden herausforderten und sich mit ihm in der Finsternis herumbalgten. Unter diesen Raufhelden waren damals die Brüder Brügger von Zur March. Jedes Mal, wenn sie benebelt von Plaffeien nach Hause gingen, riefen sie im Sangernboden: «He, Ungeheuerlein, wo versteckst du dich? Bist du bei deinem Toggeli zu Kilt gewesen, oder hast du ein frisches Fantumli aufgefischt mit dem du dich auf dem Heu herzest? Gelt, du Milchsuppenjäger, du darfst heute Nacht nicht heraus aus deinem Buhlnest?» Doch plötzlich ergriff das Ungeheuerlein unsichtbar den riesenstarken Benz bei den Schultern, klemmte ihm den Hals so eng zusammen, wie wenn es ihn erdrosseln wollte, warf ihn zu Boden, wo er sich fluchend im Kot herumwälzte.

Wenn er aufstehen oder ihm sein hochstämmiger Bruder Josi, der Grossmarcher genannt, zu Hilfe eilen wollte, sass der Kobold auf einem hohen Tannenaste und lachte die geprellten Narren aus, rief ihnen zu, sie sollen nach Hause trätschen und den Rausch ausschlafen. Oder er sass auf dem höchsten Tannenwipfel und fiedelte ihnen Spottlieder. Wurden die Brüder darob erbost und warfen mit Steinen, Scheitern oder gar Zaunstecken nach dem Spötter, so antwortete der ihnen mit einem Hagel von Tannzapfen und mit gellendem Gelächter. So mussten die hochmütigen Schläger, die sonst überall den Meister spielten und es oft mit einer ganzen Anzahl handfester Leute aufnahmen, mit einer langen Nase abziehen. Ein andermal liess sich das Ungeheuerlein zum Schein von den beiden Brüdern Brügger ergreifen und zu Boden werfen. Im Nu aber war es entwischt, und dann brauste ein gewaltiger Wirbelwind, der die beiden so lange herumdrillte, bis sie betäubt und besinnungslos ins Gras niederfielen, wo man sie am nächsten Morgen schlafend fand.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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