Vor einigen Jahrzehnten lebte in Obermonten eine Frau, die einen Reformierten geheiratet hatte, ohne die Ehe durch den katholischen Priester einsegnen zu lassen. Schon nach 5 Jahren musste sie dem Todesengel folgen. Auf dem Todbette bekehrte sich die Frau und, mit der Kirche wieder versöhnt, verschied sie. Einige Zeit, nachdem die Frau begraben war, hörte deren Mutter abends vor dem Hause immer ein bitteres Weinen. Es kam von der Hausecke her, als ob dort sich jemand aufhielte. Aber beim genauen Nachforschen konnte kein sterbliches Wesen gefunden werden. Mitten in der Nacht hörten die Familienangehörigen von der Stube aus ein fernes Glockengeläute, das von draussen seltsamerweise nicht vernommen wurde. Diese eigenartigen Erscheinungen dauerten einige Wochen fort. Die Angehörigen schlossen hieraus, die Verstorbene sei noch nicht zur Ruhe gelangt und durch das «Künden» wolle sie ihre Verwandten um Hilfe bitten. Die Mutter begab sich deshalb an einem Samstag in die Stadt und fragte einen Ordensmann um Rat. Als dieser den ganzen Sachverhalt vernommen und reiflich überdacht hatte, sprach er zur Frau: «Wahrscheinlich hat Eure verstorbene Tochter Zeit ihres Lebens einige Sonntage die heilige Messe versäumt. Sie wird deswegen nicht eher zur Ruhe kommen, bis das Versäumte gutgemacht worden ist.» Die erschrockene Mutter konnte des Paters Ansicht nur bestätigen. Sie wusste, dass ihre Tochter seit der protestantischen Trauung nur selten mehr die Kirche besucht hatte. Die Frau liess nun eine Anzahl Messen lesen für die Seeelenruhe ihrer verstorbenen Tochter. Das Mittel half. Nachdem die letzte der bestellten Messen gelesen war, hörten die Hausbewohner weder das eigenartige Glockengeläute noch auch das heftige Weinen draussen an der Hausecke.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.