Bei der vielbesuchten Wallfahrtskapelle in Chandolin-Savièse ob Sitten überrascht den Beobachter die Aussicht auf das lange, wildschöne Sanetsch-Tal, welches mit den obstgesegneten Fluren des Savièse-Berges rechts und links mit den noch freundlicheren Halden des schönen Gundis (Conthey) in argem Kontraste steht. Schroffe Felswände und steile Bergabhänge, welche, reich an wildem Steingeröll, nur spärlichen Boden dem Tannen- und Theelwalde einräumen, umrahmen das enge Tal, an dessen Sohle die Morge ihr Bett in tiefe Schluchten eingegraben. Über den Rand dieser Abgründe ist eine gut erhaltene, aber sehr gefährliche Saumstrasse talein- und aufwärts zu den weidereichen Vor- und Hochalpen des Sanetschs angelegt. Die guten Leute von Savièse haben da manch sauern Gang durch dieses drei Stunden lange Tal zu machen, wenn ihr Vieh aus den fetten Bergweiden dieses Hochpasses graset.
Fast in der Mitte des Tales führt die Strasse mittelst einer soliden, wohl über einen zweihundert Meter tiefen Abgrund kühn angelegten Steinbogenbrücke über die Morge auf den Bezirk Gundis hinüber. — Nahe bei dieser Brücke war es, wo am 17. Herbstmonat 1869 der unglückliche Joseph Bridy, Organist, vom Maultier hinab in den schrecklichen Abgrund totfiel; das Tier, das seine Ladung so traurig verloren, kehrte allein nach Chandolin zurück.
Diese Steinbrücke, die auch ihr Bildhäuslein hat, wie gewöhnlich die gefährlichen Brücken im Oberwallis, heisst: "Pont Neuf — Neue-Brücke", obschon sie augenscheinlich ziemlich alt ist — 300 Jahre möchten nicht zu viel gesagt sein.
Auch eine schöne Steinbrücke, unter Stalden heisst noch die "Neue Brücke", obschon sie vor 270 Jahren gebaut wurde. Anfangs waren diese Brücken freilich neu und wurden so richtig benannt; jetzt aber sollten sie wahrheitsgetreuer alt heissen.
Laut einer Sage in Savièse ist die Steinbrücke im Sanetschtale vom Satan sehr wohlfeil gebaut worden.* Die guten Leute waren nämlich sehr in Verlegenheit, an dieser schwierigen und gefährlichen Stelle ordentliche Brücken anzulegen und zu unterhalten. Satan wollte sich das zu Nutzen machen und versprach, eine feste Brücke in Stein und Pflaster auszubauen, wenn die erste Kreatur, die darüber gehen werde, ihm als Lohn eigentümlich zufallen solle. Der Antrag wurde angenommen, die Brücke von Satan gleich aufgemauert und für den öffentlichen Verkehr offen erklärt.
Um die neugebaute Brücke in Augenschein zu nehmen veranstaltete man eine grosse Prozession, an deren Spitze sich der Pfarrer selbst stellte und der sich fast alles Volk anschloss. Satan rieb sich die Hände und hüpfte vor Freude, als er die Masse Volkes herankommen sah und voran den wohlbeleibten Pfarrer selbst, auf den er schon lange einen Zahn gehabt, weil er ihm so manche Rechnung durchkreuzt hatte. — Alle Mühen des schweren Brückenbaues waren vergessen! — Aber, o weh! — Bevor der Pfarrer seinen Fuss auf die Brücke setzte, zog er schnell unter seinem weiten Mantel eine alte Katze hervor und jagte dieselbe darüber. — Da knirschte Satan vor Wut als er sich so betrogen sah. Gleich machte er sich daran, die Brücke wieder einzureissen; aber des Priesters Segen kam ihm zuvor und er musste sich als Lohn für den Brückenbau mit der alten Katze begnügen.
Später soll Satan noch damit Rache genommen haben, dass er eine vorübergehende Kuh am Schwanze ergriff und in den schauerlichen Abgrund schleuderte.
* Im Wallis gibt es mehrere Brücken, die von Satan sollen gebaut worden sein und zwar so schnell als ein Reiter darüber zu galoppieren imstande war; unter andern jene vom Wege von Leuk nach Erschmatt bei Rotafen. Der Teufel verlangte hier als Lohn die ersten drei Köpfe, so über dieselbe gehen würden. Man rollte zuerst einen Kabiskopf darüber, dem eine gefrässige Geiss nachsprang. Zuletzt wurde noch ein Hund nachgehetzt, und so erhielt der Brückenbauer den versprochenen Lohn.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch