In den Eisten, bei Stalden, führt auf der östlichen Talseite eine mühsam und kühn angelegte Wasserleite das Vispenwasser wohl über anderthalbstund weit zur Bewässerung der Wiesen nach Staldenried. Diese Wasserfuhr durchschneidet nicht nur steile Bergabhänge, auch mittelst angebrachter Känel, unsichere Bergruffinen und hohe Felswände.
An einer solch gefährlichen Stelle fiel einmal ein junger Mensch in den Abgrund. Unter herzlichem Mitleiden und allgemeiner Trauer wurde der Verunglückte tot aufgehoben und zu Grabe getragen. Doch diese Stimmung begann bald in Freude und Verwunderung umzuschlagen; denn sieh! an der Stelle, wo der Unglückliche totgefallen, sah man bald und sehr oft einen weissen Geist in Gestalt eines jungen Gitzleins (Zickelchens), munter herabfallen, wieder aufstehen und in lustigen Sprüngen davonhüpfen. Von der sonderbaren Erscheinung erzählte man bald weit umher.
Eines Tages zog ein frommer Ordensmann durchs Eistertal, welchem von dem weissen Geiste und dem seligen Ende des Totgefallenen auch erzählt wurde. Der Pater wollte der Sache nicht recht trauen und verlangte zur Stelle hingeführt zu werden, wo die Erscheinung statthabe. Man tat, wie er's verlangte. Als man sich der Felswand näherte, begann es im ganzen Gebirge so unheimlich zu krachen, dass alle davon laufen wollten; nur der Pater ging um so fester voran, den freilich die Führer nicht verlassen durften. Angekommen an der bezeichneten Stelle, begann er seine Gebete; sieh! da kroch das Gitzlein erschrocken und zitternd aus einem Gebüsche hervor und musste offen bekennen, es sei der Satan und stehe in keiner Beziehung mit dem Verunglückten. Es habe den Spuk nur darum getrieben, damit die Leute ungereimt urteilen und vor einem solchen Tode nicht allzusehr sich fürchten.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch