Ob den fruchtbaren Wiesen und Äckern des Savièserberges breitet sich ein grosser Wald aus am Berge Prabé. In diesen Wald mündet die grossartige und überaus gefährliche Wasserleite, die das Wasser der Morge aus dem langen Sanetschtale durch schneidende Felsen herausführt zum Bewässern der weit ausgedehnten Bergwiesen. Wieviel diese Wasserfuhr gekostet haben mag und wie viel Mut die guten Alten hatten, sich an solche Arbeit zu wagen, kann nur beurteilt werden, wenn man dieselbe näher ins Auge fasst. Schon viele Menschenleben hat die Erstellung und Erhaltung dieses kühnen Werkes gekostet und man begreift, dass die gläubigen Savièser die so gefährliche Wasserleitung, "torrent neuf" genannt, dem Segen des Himmels und dem Schutze der Hl. Margaretha anempfohlen, der sie am Rande derselben eine schöne Messkapelle erstellten und ihren Festtag (20. Juli) mit Einstellung aller Wasserarbeiten feiern.
Nahe der Kapelle der Hl. Margaretha befindet sich eine schöne waldlose Ebene, "Plan dy danses" genannt, auf der die jungen Leute, so wird erzählt, gerne ihre verborgenen Tänze hielten. Eines Abends versammelten sich dort wieder viele und der Tanz begann lustiger als gewöhnlich; munter pfiff des Spielmann's Flöte, die Geigen zischten summend und die fröhlichen Tänzer, sich hurtig im Kreise drehend, begannen zu jodeln, zu trallen und hell aufzujauchzen. — Und sieh! es kamen neue ungekannte Tänzer, nie gesehene Tänzerinnen an und schlossen sich tanzend ihren tanzenden Reihen an. Und es kamen wieder andere und wieder andere, und zuletzt so viele, dass der grosse Tanzboden überfüllt und unsere ersten Tänzer einander kaum mehr erkannten und ein sichtbares Zeichen verabredeten, um einander nicht ganz unter der Menge zu verlieren.
Das dauerte aber nicht gar lange; unserm Tänzervolk ward bange und es begann auszureissen. Sie flohen den Berg hinab und suchten eine alte Scheuer auf, in welche sie sich eilig einzuschliessen bemühten, weil eine Schar der Ungekannten ihnen auf der Ferse folgte. - Voll Angst schrien sie um Hülfe, denn die Fremden drohten Türen und Wände einzuschlagen. Einer der Tänzer wusste das Evangelium des Hl. Johannes und begann dasselbe mit lauter Stimme vorzubeten; alle stimmten fromm mit. Da wurde es stiller von aussen. Eine Stimme rief ihnen noch zum Schlüsselloch hinein: «Wenn ihr nicht dieses Gebet gebetet hättet, so würden wir euch zerhacken wie Gartengemüse.» Die Angreifer entschwanden in feurigen Flammen in den Wald zurück.
Nur ein Geiger fehlte aus ihrer Gesellschaft. Der Arme war zu sehr von den Musiktönen seines Spieles hingerissen, dass er die Flucht der Seinen nicht wahrnahm und sich ihnen nicht mehr anschliessen konnte. Am folgenden Morgen kam er zerlumpt und zerrissen, nur seine Geige blieb unbeschädigt, aus dem Wald heraus; die fremden Tänzer jagten ihn die ganze Nacht so durch Stauden, Disteln und Dornen, dass kein ganzer Fetzen an seinem Leibe blieb.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch