Von Missverständnissen, Zänkereien und Rechtsstreitigkeiten über die Grenzmarken des Gemeindebodens und der Alpen wird viel erzählt. Auch die Archive liefern zahlreiche Belegstücke von derartigen Prozessen zwischen den Gemeinden. Es sieht schon schlimm aus, wenn Private gegen einander vor dem Richter stehen; noch viel trauriger ist es, wenn das Gemeinden tun, weil da nicht nur Einzelne, wohl aber Volk gegen Volk gegenseitigen Groll im Herzen tragen.
Einmal war Prozess zwischen zwei Gemeinden N. N. über die Markgrenze in einer fetten Alpweide. Beide Parteien behaupteten sich Eigentümer eines streitigen Bezirkes, und die Richter schienen in Verlegenheit, das Recht zu ermitteln. Darum trugen diese einem alten Vorsteher, der die Sache wissen musste, auf, der Wahrheit und dem Rechte eidlich Zeugnis zu geben. Der alte Vorsteher, so wird erzählt, war aber seines Handels nicht vollkommen überzeugt und sicher; getraute sich darum nicht, das Recht seiner Gemeinde durch einen Eidschwur zu bekräftigen. Er wusste sich aber schlau zu helfen. Aus seinem Garten nahm er Erde in die Schuhe und steckte einen Suppenlöffel (Schöpfer) verborgen in seinen Hut. So ausgerüstet stellte er sich im Angesichte der Richter auf den streitigen Boden und schwur: «So wahr ich den Schöpfer über meinem Haupte habe, stehe ich hier auf meiner Erde.»
Die Richter nahmen den Schwur an und urteilten zu Gunsten seiner Gemeinde. Aber nach dem Tode des schlauen Eidschwörers schien derselbe in der Ewigkeit eben nicht auf Rosen sich gebettet zu haben. Ein Gespenst voll Feuer durchirrte fortan diese so gewonnene Alpweide, und noch vor wenigen Jahren soll dasselbe, besonders an den Seelentagen und zur Quatemberzeit, in seiner Feuergestalt hin und wieder gesehen worden sein.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch