Der zu frühe Tod

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es ist ein allgemeiner Volksglaube, dass jeder Mensch seine verordnete Sterbestunde habe. Über diese hinaus bringt wohl kein Mensch sein Leben; strenge aber muss er es aber im Jenseits büssen, wenn ihn der Tod aus seiner Schuld früher erreicht.

Zur Bekräftigung dieses Glaubens wird manches erzählt. Einmal zogen z. B. mehrere Menschen gemächlich miteinander durch eine Talstrasse. Auf einmal wurde ein Mann unter ihnen unruhig und so beängstigt, dass er anfing den Übrigen voranzugehen. Auf die Frage, was er wolle und was ihm fehle, antwortete er vorauseilend, seine Stunde sei soeben gekommen. Und sieh; ein Stein fiel vom Berge ab und schlug ihn tot.

Im Jahre 1785, den 10. August, wurde ein Mädchen aus Emd, Maria Lorenz, im Theelizug in St. Niklaus tot aufgefunden. Sie wurde von ihren Eltern, um das Brod zu verdienen, angehalten, die Ziegen zu hüten und fiel dabei im Distelbrand unglücklicherweise über schroffe Felsen herab. Dreissig Jahre lang soll man diese Verunglückte am Orte ihres Todes oft seufzen und jammern gehört haben. Ihrem Vater in Emd soll sie erschienen sein und geoffenbart haben, sie müsse so lange da, wo sie gestorben, büssen, bis die Tage ihres verordneten Lebens erfüllt seien.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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