Auch die mutigen Jäger, die in Hochgebirgen dem Tode manchmal ins Antlitz schauen, sind nicht allemal frei von Aberglauben und Zauberei. Die Sagen erzählen noch manchen Zug. Hier nur ein Beispiel: Aus Savièse wird erzählt, dass ein Jäger sich einem alten Soldaten klagte, er bringe so selten etwas von der Jagd heim. Dieser belehrte ihn, wenn er glückliche Jagd machen wolle, so solle er einem Anverwandten, der nächsthin aus seinem Hause sterben würde, zwei Rossnägel in die Ferse schlagen, davon einen wieder ausziehen und aufbewahren, mit dem andern aber den Toten zu Grabe tragen lassen. Treffe er nun auf der Jagd Fusstritte von Gewild an, so solle er nur den aufgehobenen Nagel in dieselbe stecken und augenblicklich werde das gejagte Tier stillstehen und sich sofort totschiessen lassen.
Bald darauf starb des Jägers Vater, dem der Sohn tat, wie er war belehrt worden. Und wirklich brachte ihm der Zaubernagel viel Glück; stets kehrte er mit Wildbret wohlbeladen heim. — Eines Tages, als unser Jäger im Hochgebirge auf der Lauer war, sprang unvermutet gerade vor seinen Augen ein schöner Gemsbock auf. Gleich pflanzte er den Nagel in dessen Fährte und in kleiner Entfernung stand das Tier still, sich wild und hoch aufbäumend; es schien am Hinterfusse wie an den Boden genagelt. Verwundert sah der Jäger dem Spiele lange zu. Da hörte er die weinerliche Stimme seines verstorbenen Vaters deutlich rufen: «Schiess! Schiess doch schnell und zwinge mich nicht so lange, das Tier mühsam zu halten. — Oder gönnst du deinem Vater auch im Grabe die Ruhe nicht?» Erschrocken erlegte nun der Jäger das Tier und trug es heim. — Bei nächster Gelegenheit suchte er aber auf dem Kirchhofe die vermoderte Leiche seines Vaters auf, zog den Zaubernagel wieder aus und ging nie mehr auf die Jagd.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch